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Das Haus auf der Brücke

Das Haus auf der Brücke

Titel: Das Haus auf der Brücke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Othmar Franz Lang
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gerade, wie ich das Ansinnen Beros erklären solle, da kam mir der Himmel im wahrsten Sinn des Wortes zu Hilfe. Es begann zu schneien. Und das lenkte den Tierarzt so ab, daß er seine neue Patientin vergaß. Er begab sich ans Fenster, und bald heulte er, weil er nicht alle Flocken zählen konnte. So stark schneite es. Ich verdrückte mich, und so kam Mutti zu dem zweifelhaften Vergnügen, Schneeflocken zu zählen.
    Bero fragte: »Wie viele Schneeflocken fallen auf die Wiese?«
    »Siebenhundertachtundneunzigtausenddreihundert-
    fünfundzwanzig.«
    »Schreib’s auf. Und wie viele aufs Dach?«
    »Zweihunderttausendsiebenhundertfünfzehn.«
    »Schreib’s auf. Und wie viele in den Bach?«
    »Acht Millionen dreihundertfünfzigtausend.«
    Und dann fragte er, wie viele auf die Straße fielen und wie viele auf die Wiese und die Kühe. Und zum Schluß wollte er alles zusammengerechnet haben.
    Mutti begann zu rechnen.
    »Sei doch nicht so verrückt«, sagte ich, »der kann doch sowieso nicht nachrechnen, ob es stimmt. Schreib eine Zahl hin.«
    »Nein«, sagte Mutti, »jetzt habe ich mich so bemüht, jetzt will ich auch wissen, wie viele Schneeflocken es insgesamt waren.«
    Es waren nach ihrer Rechnung in der nächsten Umgebung 33 Milliarden, 198 Millionen, 715 629 Schneeflocken.
    Sie schien recht zu haben. Denn am nächsten Morgen stand der Unimog mit dem Schneepflug vor unserem Haus und wollte durch unser Wohnzimmer. —
    Jetzt zeigte sich erst, was für ein gutes Haus unser Haus war.
    Vater sagte: »In Amerika sagen sie >man merkt erst im Winter, ob ein Baum das ganze Jahr über grün ist<. Und ebenso merkt man erst im Winter, ob ein Haus taugt oder nicht.«
    Unser Haus taugte. Bero hatte längst aufgehört, die Mutter zu belästigen, indem er sie fragte, wie viele Schneeflocken gerade fielen. Er zerbrach sich nur den Kopf über die Forellen. Der Bach war zugefroren und auf das Eis der Schnee gefallen. Der Schnee zu beiden Seiten der Straße lag mannshoch. Eines Morgens fand Bero, daß die Forellen frieren, wir müßten sie wärmen.
    »Ja, Schatz, aber wie denn?« fragte Mutter.
    »Ich muß nachdenken«, sagte Bero und stützte den Kopf in die Hand. Etwas später wußte er, was zu tun war. Wir mußten eine Kanne voll heißem Wasser in den Bach gießen, dann war den Forellen wieder warm, und er war beruhigt.
    Wir schimpften zwar und fanden, das ginge zu weit. Aber Vater sagte, daß sich dadurch das soziale Wesen in Bero zeige und daß es doch eine Leistung für den Kleinen sei, jeden Morgen an das warme Wasser für die Forellen zu denken.
    »Wenn andere Leute davon hören, daß wir jeden Morgen eine Kanne heißes Wässer in den Bach gießen«, sagte Don, »halten sie uns glatt für verrückt.«
    »Vielleicht deine Karin?«
    »Nee, Karin leider nicht, die findet so was noch prima.«

    Eines Tages, es war schon im neuen Jahr, nahm mich Vater zur Seite und sagte: »Fällt dir etwas auf?«
    »Was soll mir auffallen?«
    »Mama schimpft gar nicht mehr, wenn fremde Leute durch unser Haus trampeln. Nicht einmal jetzt im Winter, wo sie sich auf die Ofenbank hocken und kleine Seen hinterlassen.«
    »Und gestern, als der Schneepflugfahrer bei uns eine Pause machte und dann eine ordentliche Lache vom Schneepflug im Zimmer stand, sagte sie >das macht gar nichts aus<.«
    Papa überlegte und sagte schließlich, daß sich Mama durch den Durchgangsverkehr der verschiedensten Leute sozial eingebunden fühle. — »Sie ist nicht isoliert. Verstehst du?« Ich verstand.
    Es gab in diesen kalten Tagen aber auch wirklich niemanden, der sich nicht wenigstens für fünf Minuten auf die Ofenbank setzte und den Rücken gegen die warmen Kacheln drückte.
    Im Grunde war der Kachelofen ja ein Schwindel, weil sich hinter ihm nur die Zentralheizung verbarg, aber er war warm wie ein echter und hatte eine Ofenbank, und auf die kam es wohl an.
    Eines Tages hielt ein pompöser Wagen vor unserem Haus. Ein rundlicher Mann stieg aus und glotzte ziemlich dämlich unser Haus an. Wir standen in der Mitte des Zimmers, so daß er uns nicht sehen konnte, und erlebten ein einzigartiges Schauspiel.
    Der Mann ging nämlich zum Wagen zurück, stieg ein, ließ aber die Tür offen. Es war, als ob er nur hinter dem Lenkrad denken könne, dann kam er wieder heraus, ging die Hauswand ab, schaute um die linke Ecke, dann um die rechte und kehrte wieder zum Wagen zurück. Dann ging er direkt auf unser Haus zu und versuchte unser Hausinneres zu erkunden. Wir waren schnell zur Seite

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