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Das Haus der blauen Schmetterlinge - Roman

Das Haus der blauen Schmetterlinge - Roman

Titel: Das Haus der blauen Schmetterlinge - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Blanvalet-Verlag <München>
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lächerlich komisch und mal furchterregend, aber immer tragisch. Sie verlor jedes Zeitgefühl und behauptete irgendwann, dass sie bereits über ein Jahr im Sanatorium festgehalten werde. Sie erreichte sogar, dass ein britischer Vizekonsul vorbeikam und sich ihre Beschwerde anhörte. Zeitweise verlor sie völlig den Verstand und beschuldigte Paulette, mit dem Leiter des Sanatoriums unter einer Decke zu stecken. Dann waren Iolana und Max dran. Schließlich ihre samoanische Familie. Alle Ängste, Zurückweisungen und Enttäuschungen, die sie jemals erlebt hatte und die das Opium nur gemildert oder überdeckt hatte, brachen nun mit aller Macht hervor. Das Lächeln einer Pflegerin konnte bei ihr zu Hassausbrüchen führen.
    Etwa sechs Wochen nach der Selbsteinweisung schwächten sich die Entzugserscheinungen stark ab. Dafür machte sich eine unglaubliche Leere in ihr breit, sodass sie von morgens bis abends auf einem Stuhl saß und vor sich hinstarrte, wie ein altes Mütterchen, das vom plötzlichen Tod seines Gatten und all seiner Kinder erfahren hat und dem Leben keinen Sinn mehr abgewinnen kann.
    Das Opium war als Tröster weggefallen, aber das, was sie zu der Droge hatte greifen lassen, war immer noch da. Ihr Leben und die Menschen, die es geprägt hatten, zogen an ihr vorüber: die Mutter, die ihretwegen schlecht angesehen gewesen war und sie das in den ersten Lebensjahren hatte spüren lassen, der Vater, der fern von ihr zur See gefahren war, die Onkel und Tanten, die sie geringschätzten, ihr vermeintlicher Retter Henning … Auch Titus hatte es nicht gut mit ihr gemeint, als er sie dem Opium zuführte. Rückblickend waren die wenigen Tage mit Max die besten gewesen. Sie erinnerte sich an das tiefe Gefühl von Befriedigung, als sie in seiner Praxis gearbeitet und ihn bei seinen guten Werken unterstützt hatte, und an Glücksgefühle an den Abenden mit ihm am Meer.
    Es hatte auch andere, zumindest halbwegs gute Zeiten gegeben. Sah man einmal vom Opium ab, waren die Monate in Warwicks Villa nicht die schlechtesten gewesen, was vor allem der Gesellschaft von Iolana und Paulette zu verdanken war. Den beiden Frauen hatte sie sich gleich verbunden gefühlt, ihre Gegenwart verlieh Elsa Sicherheit. Auch Keanus Geburt und die Stillzeit fielen in dieses eine, von seltsamer Schwerelosigkeit geprägte Jahr, als sie sich einbilden konnte, auf dem Olymp zu leben und ihn nie wieder verlassen zu müssen.
    Eine andere, im Grunde ähnliche Zeit drängte sich mit aller Macht in Elsas Erinnerung: die Wochen auf dem Ozeandampfer bei der Rückfahrt von Deutschland in die Südsee. Wie die Villa auf dem Berg, war auch das Schiff im Grunde eine Götterburg gewesen, ein Palast voller gut gelaunter, tanzender, scheinbar unsterblicher Menschen, umgeben von Lichtern, Luxus und Musik. Eines Nachts im Klinikbett meinte Elsa die beschwingten Melodien des Ballsaales aus der Ferne zu hören, und zum ersten Mal seit ihrem Eintreffen in Indien lächelte sie.
    Je mehr Elsa im Laufe der Wochen zu körperlicher Ruhe und geistiger Klarheit zurückfand, desto bewusster wurde ihr, was bisher falschgelaufen war. Wenn sie auf ihr bisheriges Leben zurückblickte, kam es ihr vor, als hätte es in einem Käfig stattgefunden. Ihre Gedanken, ihre Hoffnungen waren eng fokussiert gewesen, entweder auf einen bestimmten Menschen oder auf ein bestimmtes Gefühl. Sie hatte unbedingt lieben und geliebt werden wollen, viel anderes hatte es im Grunde nicht gegeben. Hatte sie die Enttäuschungen dadurch nicht geradezu provoziert? Hatte ihr nicht zwangsläufig jedes Ereignis, egal ob Hindernis oder Bestätigung, überlebensgroß erscheinen müssen, wie unter einem Lupenglas?
    Sie brauchte eine Idee, eine neue Vision für ihr Leben.
    Viereinhalb Monate nach ihrer Abreise fuhr Elsa in die Matupi Bay ein. Sie kam sich wie ein neuer Mensch vor, der in seine gewohnte Umgebung zurückkehrt und allem begegnet, was er vorher mit anderen Augen gesehen, mit anderem Herzen gefühlt hatte. Denn auch das war eine schreckliche Begleiterscheinung der Abhängigkeit wie auch des Entzugs gewesen, dass das Verlangen ihres Körpers alles andere, zeitweise sogar die Mutterliebe, wie unter einem schweren Schleier verborgen hatte. Doch nicht nur das hatte sich verändert. Schon als kleines Kind hatte sie geliebt werden wollen und war bereit gewesen, alles dafür zu tun. Ihre

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