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Das Haus der blauen Schmetterlinge - Roman

Das Haus der blauen Schmetterlinge - Roman

Titel: Das Haus der blauen Schmetterlinge - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Blanvalet-Verlag <München>
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den Steg hinauf und verschwand in der Menge der Schiffspassagiere. Erst als sich die Schiffsschrauben zu drehen begannen, ging sie an die Reling und hielt nach Max Ausschau. Er stand unten am Quai. Die Sirene gab einen hellen, ein wenig lächerlichen Pfeifton von sich, und das Land entfernte sich allmählich, zunächst nur wenige Zentimeter, dann Meter. Für einen kurzen Moment wünschte Elsa, die ganze Tragweite des Abschieds spüren zu können, aber es gelang ihr nicht, diesen Wunsch aufrechtzuerhalten. Sie war überzeugt, das Richtige zu tun.
    Dann, nach einem Moment der Ablenkung, war Max plötzlich fort, und sie verspürte einen Stich.
    Die Halbinsel Matupi verschwand langsam im nachmittäglichen Dunst, der die festen Formen auflöste. Die über ihnen kreisenden Seevögel wurden weniger, und als das Schiff allein auf dem Meer war, ohne einen Streifen Land am Horizont, an dem sich die Augen festhalten konnten, verließ Elsa das Deck und ging in ihre Kabine. Eine Chambersmaid hatte bereits alles in die Schränke geräumt, bis auf den Inhalt eines großen, verschlossenen Kästchens. Gung hatte Elsa den Schlüssel dazu gegeben.
    Sie öffnete das Kästchen. Darin befand sich eine edle Opiumpfeife mit Holzschäftung samt Jademundstück sowie alles, was nötig war, um sie zu benutzen.
    Elsa verschloss das Kästchen und verstaute es unter dem Bett, fest entschlossen, es nie wieder hervorzuholen.
    Die Fahrt verbrachte sie wie in einem geistigen Halbschlaf. Das Schiff durchquerte mehrere Ozeane – den Indischen, das Rote Meer, das Mittelmeer, den Ostatlantik –, ohne dass Elsa viel davon mitbekam. Als sie den Ärmelkanal erreichten, kamen ihr die acht Wochen auf dem Dampfer vor wie eine einzige Woche, was unter anderem an der Eintönigkeit der Tage an Bord lag. Elsa verließ ihre Kabine so gut wie nie, außer für die Mahlzeiten. Sie aß an einem kleinen runden Tisch für vier Personen, der eigens für Dunkelhäutige reserviert war. Die drei anderen waren Mexikaner, die sich untereinander auf Spanisch verständigten und an Elsa nur dann das Wort richteten, wenn sie sie begrüßten oder sich von ihr verabschiedeten. Außer mit dem Schiffspersonal sprach Elsa nur mit sich selbst. Landgänge, die in Kalkutta, Alexandria, Algier und Gibraltar möglich gewesen wären, unternahm sie nicht. Damit war sie zweiundzwanzig Stunden des Tages für sich.
    In dieser Zeit – und eigentlich auch während der übrigen zwei Stunden – unterdrückte sie jeden Gedanken an Max und versuchte, sich ganz auf Henning zu konzentrieren. Was erwartete sie wohl? Hatte er ihr noch weitere Telegramme geschickt, die nun ungelesen in der Obstschale in Max’ Hütte herumlagen?
    Abwechselnd fürchtete sie, er könnte sich seine Reue wieder anders überlegt oder sich vor Verzweiflung das Leben genommen haben, dann wieder hoffte sie, er habe sie inzwischen zum Nachkommen aufgefordert oder ein Schiff in Richtung Port Rabaul bestiegen, um sie nachzuholen. Wann immer ihnen ein entgegenkommender Dampfer begegnete, überlegte sie, ob Henning sich darauf befand, ob er vielleicht gerade in diesem Moment zu ihrem Schiff herübersah und ähnliche Gedanken hegte. Das waren die einzigen Gelegenheiten während der Reise, bei denen sie lächelte. Wenn sie spürte, wie sich ihre Lippen in die Breite zogen, berührte sie ihren Mund wie etwas, das sie im Gedächtnis behalten wollte. Alles andere verging. Küsten zogen vorüber, ohne dass Elsa am nächsten Morgen noch hätte sagen können, wie sie ausgesehen hatten. An die Bordgäste, denen sie am Vortag höflich zugenickt hatte, konnte sie sich tags darauf schon nicht mehr erinnern. Welches Kleid sie trug, was sie aß, wo das Schiff sich gerade befand, wie das Wetter war, das alles war ihr gleichgültig.
    Oft wurde ihr schlecht, allerdings nicht wegen der Seereise. Sie war mit dem Meer aufgewachsen, es war etwas Gutes, Vertrautes und zudem Teil ihres väterlichen Erbes. Die Schwangerschaft schickte vielmehr die ersten wenig wohlmeinenden Vorboten. Wenige Tage später, nach einer Untersuchung beim Schiffsarzt, bestand kein Zweifel mehr: Sie erwartete ein Kind.
    In Portsmouth angekommen, stieg Elsa auf einen Dampfer nach Bremerhaven um. Im Spiegel erblickte sie das Antlitz einer den Drogen verfallenen, todgeweihten Frau, obwohl sie weder Alkohol trank noch schwer erkrankt

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