Das Haus der blauen Schmetterlinge - Roman
war. Sie aà jedoch fast nichts mehr, und sowohl die Enge der Kabine als auch die Menschen an Deck waren ihr zunehmend unerträglich. Egal wo sie sich befand, ständig vermischten sich die von der Schwangerschaft und die vom Kopf verursachte Ãbelkeit.
Je mehr sie sich der deutschen Küste näherten, desto gröÃer war Elsas Nervosität. Als Bremerhaven in Sicht kam, steigerte sie sich bis an den Rand einer Panik, bei der Vorstellung, ihren Schwiegereltern zu begegnen. Diese Leute hatten ihren Sohn dazu gebracht, seine Frau zu verlassen â wie würden sie ihr wohl entgegentreten? Elsa tat alles, was sie für erforderlich hielt, um ja einen positiven Eindruck zu machen. Sie wählte das dezenteste Kleid aus, gab sich viel Mühe mit ihrer Frisur, verzichtete auf alle Attribute, die sich mit der Südsee in Verbindung bringen lieÃen, und suchte in Bremen zunächst ein Hutgeschäft auf. Hüte waren das Einzige, was Titus Warwick ihr nicht eingepackt hatte.
Warwick, Max, Samoa â das alles war mit einem Mal weit weg. Mehr noch, es wurde geradezu unwirklich, als Elsa vor dem imposanten Stadthaus der Familie Matthes stand. Es war ein nebliger Tag Ende Februar, und die oberste Spitze des Treppengiebels war nicht zu sehen.
Dies also war Hennings Heimat und zugleich die Heimat von Elsas Vater. Rote Backsteinfassaden, kahle Bäume, ein paar schwarze Vögel. Elsa hatte gelernt, dass es Raben waren, und wusste auch, dass es sich bei den kleinen Blumen, die im Vorgarten den winterharten Boden durchbrachen, um Schneeglöckchen und Krokusse handelte. Ebenso dass das Stadtbild Bremens stark von Reihenhäusern englischen Vorbilds geprägt war. Dass es den Begriff der Weserrenaissance gab, die an die Blüte der Hansestadt erinnerte.
Tief atmete sie die kalte Luft ein, die nach gar nichts roch, und sie fror. Vom Frieren hatte sie bisher nur gelesen. Diese Kälte hatte einst ihr Vater gespürt, ebenso hatte er diese Luft gerochen, diese Stadt durchschritten.
Elsa kam langsam zur Ruhe. Einige Passanten grüÃten sie im Vorbeigehen höflich, wenngleich sie sie neugierig betrachteten. Zwei Mädchen malten Quadrate auf das Pflaster und sprangen abwechselnd mit einem und mit zwei Beinen darauf herum. Ein Junge fragte Elsa vom Nachbarzaun aus: » Warum bist du so braun? Warst du zu lange in der Sonne? « Sie redete ein paar Sätze mit ihm und bekam ein Bonbon geschenkt. Ein älterer Herr sprach sie an und wollte wissen, ob sie von den ehemaligen Kolonien komme? Er war zur See gefahren, kannte Samoa und bestätigte ihr die Schönheit ihrer Heimat und der dort lebenden Menschen, bevor er wieder seines Weges ging.
Die Leute waren friedlich und ihr wohlgesonnen, daher hatte sie nichts zu befürchten. Elsa sprach ihre Sprache, wusste alles über ihre Kultur und konnte sie für sich einnehmen. Während sie sich dies wie einen Zauberspruch einbläute, drückte sie auf die elektrische Türklingel, die ein so ungewohntes Geräusch machte, dass Elsa auflachte.
Wie konnte Max glauben, dass sie hier nicht willkommen sein würde? Beinahe hätte er sie noch überzeugt!
Ein betagter Hausdiener öffnete ihr, und endlich konnte Elsa sagen, worauf sie sich seit ihrer Hochzeit freute.
» Guten Tag, Sie müssen Nolte sein. Henning hat mir schon viel von Ihnen erzählt. Er verehrt Sie als Institution dieses Hauses. Ich bin Elsa Matthes, Hennings Frau. «
S chwiegertochter auf Probe
Bente Matthes war eine kleine, füllige Frau von sechzig Jahren, die ein viel zu enges Kleid trug, welches längst aus der Mode gekommen war. Sie schnaufte bei der kleinsten Bewegung, und was auch immer sie sagte, man hätte es ihr am liebsten erspart, denn es hörte sich gequält an. Elsa traute sich kaum, ihr Fragen zu stellen. Beim Tee berichtete sie ihrer schweratmigen Schwiegermutter stattdessen von der Reise, wobei sie die Ãberfahrt beschönigte, sie lobte das herrliche Bremen und hörte selbst dann nicht auf zu reden, als sie das Gefühl hatte, ein Selbstgespräch zu führen.
» Sie dürften bald zurück sein « , murmelte die Hausherrin, sobald Elsa ihre Suada unterbrach, um einen Schluck Tee zu trinken. Bente Matthes hatte mit ihrem Mann im Handelskontor telefoniert und hielt sich seither an diesem einen Satz wie an einem Evangelium fest, das ihr in der Ãberforderung Trost spendete.
» Henning und sein Vater, sie
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