Das Haus der bösen Mädchen: Roman
dort. Olga blieb zu Hause, weil sie Halsschmerzen hatte. Sie wusste, dass Mutter und Schwester erst am nächsten Morgen zurückkommen würden. Sie war an diesem Abend mit niemandem verabredet und erwartete keinen Besuch. Auch die Nachbarn haben laut Protokoll niemanden gesehen. Drogen wurden in ihrem Blut nicht festgestellt.«
»Keiner hat einen Schrei oder den Fall gehört?« Kossizki lief noch immer hin und her, blieb nun stehen, griff nach dem Wasserkocher, goss sich ein Glas abgekochtes kaltes Wasser ein und leerte es in einem Zug.
»Laut Protokoll nein. He, wieso trinkst du Wasser? Mach den Kessel an, lass uns lieber Tee trinken.«
»Er hat also recht?«, fragte Kossizki seufzend. »Ist kaum noch Wasser drin, ich geh frisches holen«, sagte er und öffnete die Tür. »Trotzdem, die Solodkina hat was mit dem Mord zu tun, das ist Lilja nach zehn Jahren endgültig klar geworden, und sie wollte etwas unternehmen. Deshalb das Treffen im Café. Sie hat Oleg Solodkin indirekt gewarnt. Der Kellner hat ausgesagt, sie habe sehr schlecht von seiner Mutter gesprochen, ihn dagegen bedauert. Solodkin hat seiner Mutter von dem Gespräch erzählt, die hat sofort kapiert, was Sache ist … Aber ich kann mir nicht vorstellen, dass eine so wohlhabende, kluge Dame einen irren Psychopathen als Mörder engagiert. Und wo hat sie den so schnell aufgetrieben?«
Kossizki ging mit dem Wasserkocher hinaus, kam zurückgerannt und rief schon an der Schwelle: »Sie hat ihn schonfrüher gekannt und wusste, dass er ein Psychopath ist! Das kam ihr sehr zupass! Das Ganze war eine Inszenierung, jawohl!« Er schaltete den Wasserkocher ein, setzte sich und zündete sich eine Zigarette an. »Und nun die Hauptfrage: Wo hat sie so einen Typ her? Und wieso hat er in den Handarbeitssachen gewühlt?«
»Weißt du was, Iwan, wir trinken jetzt erst mal Tee, und dann fährst du zu Solodkin auf die Datscha. Er ist bestimmt dort.«
»Und Ferdinand?«
»Den lasse ich überwachen, damit deine liebe Seele Ruhe hat.«
Vierundzwanzigstes Kapitel
»Entschuldigung, könnten Sie bitte den Kaugummi vom Türspion abmachen?« bat eine erschrockene Kinderstimme hinter der Tür.
»Ich versuchs«, antwortete Warja, zückte ein Papiertaschentuch und rieb damit an der erstarrten weißen Masse herum. »Wissen Sie, dazu bräuchte ich Spiritus oder Kölnisch Wasser. Ach, Moment, ich glaube, ich habe welches dabei.«
Es dauerte eine ganze Weile, bis das Glas wieder sauber war, und gleich darauf klackten Schlösser. Vor Warja stand ein dünnes, blasses Geschöpf in Shorts und T-Shirt mit einem hübschen drei Monate alten Baby auf dem Arm.
»Ist Ihnen vor der Haustür irgendwer aufgefallen?«, fragte das Mädchen in hastigem, pfeifendem Flüsterton statt einer Begrüßung. »Aber kommen Sie doch bitte herein.« Sie streckte rasch den Kopf hinaus ins Treppenhaus, schlug sofort die Tür zu, schloss ab und sicherte auch den Türriegel.
»Wer hätte mir denn auffallen sollen?«
»Ach, niemand Konkretes. Entschuldigen Sie, das war eine dumme Frage.«
Als Warja vor einer halben Stunde erfahren hatte, dass Oleg auf der Datscha war, hatte sie kurz überlegt, ob sie nicht dorthin fahren sollte. Ein Gespräch mit seiner jungen Frau würde kaum viel bringen. Doch das Voodoo-Buch war in der Stadtwohnung, und Warja fiel kein Vorwand ein, um Oleg auf der Datscha aufzusuchen. Nach der Bitte, den Kaugummi vom Türspion zu lösen, hatte sie das Gefühl, doch nicht umsonst gekommen zu sein – irgendwas war hier faul.
»Ach, ist die süß!« Warja strich über Maschas hellblondes Haar. »Sie sieht Ihnen sehr ähnlich. Nein, wie sie lächelt! Sagen Sie, haben Sie vor irgendetwas Angst, Xenia? Brauchen Sie vielleicht Hilfe? Galina sagt, sie seien noch ein richtiges Kind, und ich glaube, sie hat recht. Wenn ich nicht wüsste, dass Sie neunzehn sind, hätte ich Sie auf höchstens vierzehngeschätzt. Also, was ist los? Wer hat Ihnen Kaugummi auf den Türspion geklebt? Wer hätte vor der Haustür stehen sollen?«
»Nein, nein, es ist alles in Ordnung. Ich lese bloß gerade ein Psychiatrielehrbuch und entdecke naturgemäß bei mir selber gleich sämtliche Manien, Phobien und Psychosen. Im Augenblick zum Beispiel leide ich unter waschechtem Verfolgungswahn.« Sie lachte gekünstelt, was ihr selbst peinlich war. »Ich hole Ihnen das Buch, Sie haben es bestimmt eilig?«
»Darf ich mir mal die Hände waschen?«
»Natürlich. Das Bad ist dort. Möchten Sie vielleicht einen Tee?«
»Danke,
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