Das Haus der bösen Mädchen: Roman
Sie wurde offiziell adoptiert, sie trägt jetzt einen anderen Namen. Für Geld kriegt man alles, tadellose Papiere, Fürsorge und ein behagliches Heim. Mutter hat ein reines Gewissen. Einerseits weiß niemand von unserer Schande, und andererseits ist das behinderte Kind bestens untergebracht, in einer Topeinrichtung.«
»Besuchst du sie schon lange?«
»Seit einem knappen Jahr. Mutter wollte mir einreden, Ljussja sei in Amerika, dort gebe es viele Kinderlose. Und weil gesunde Kinder nicht ins Ausland gelassen werden, adoptierensie unsere Kranken und Behinderten. Ich hab diese Lüge bereitwillig geschluckt. Ich dachte, in Amerika hat es das Mädchen besser, dort behandelt man Behinderte ganz anders. Aber eines Tages rief mich Olgas Schwester Lilja an und fuhr mit mir zu Ljussja. Lilja besucht sie regelmäßig und nimmt sie manchmal mit nach Hause. Nach Olgas Tod konnte sie das Mädchen nicht bei sich behalten. Sie ist alleinstehend, arbeitet von früh bis spät, verdient miserabel und ist ganz auf sich allein gestellt – die behinderte Nichte war einfach zu viel für sie. Und da kam Mutter mit ihrem vernünftigen Vorschlag: Ein privates, familiäres Heim, spezielle Rehabilitationsprogramme und eine Pflege, die Lilja beim besten Willen nicht leisten konnte.«
»Warum hat sie das alles getan?«, unterbrach ihn Raïssa. »Du warst ja mit Olga nicht verheiratet, sie hätte sich doch einfach raushalten können.«
»Das hat sie offenbar nicht fertiggebracht.« Oleg lächelte. »Sie ist zwar hart und geschäftstüchtig, aber doch kein Unmensch. Sie wollte nur das Beste. Und vielleicht hatte sie noch andere Gründe, nicht nur moralische. Das weiß ich nicht, das hat sie mir nicht erzählt.«
Raïssa dachte mit gerunzelter Stirn angestrengt nach, dann fragte sie leise: »Weiß Xenia davon?«
»Dass ich eine schwachsinnige Tochter habe? Natürlich nicht.«
»Und dass du drogensüchtig bist?«
»Na, da bist du die einzige Naive hier.« Oleg bleckte die großen, verräucherten Zähne. »Aber Xenia wird sich noch anpassen. Jetzt weiß sie Bescheid, aber mit der Zeit wird sie lernen, es nicht zu wissen.«
»Wie konnte sie sich entschließen, ein Kind von dir zu bekommen?«
»Das hat sie gar nicht.«
»Was sagst du da?«
»Nichts weiter. Mascha ist nicht mein Kind.«
»Bist du verrückt?« Raïssa flüsterte. »Das glaube ich nicht, egal, was du mir erzählst!«
»Dann glaub es eben nicht«, sagte Oleg. »Was ändert das? Ich bin seit fast zwanzig Jahren auf Drogen. Ich kann schon lange kein Kind mehr zeugen. Selbst wenn ich es wollte. Und ich will auch schon lange nicht mehr. Aber das bleibt ganz unter uns, Raïssa!« Er zwinkerte ihr zu. »Verstanden?«
»Nein.« Raïssa schüttelte den Kopf. »Ich verstehe gar nichts und will es auch nicht. Du kleiner Mistkerl hast solches Glück gehabt, hast endlich ein gutes, reines Mädchen gefunden, und sie hat dir ein gesundes Kind geboren, die reine Augenweide. Du solltest deinen ganzen Willen zusammennehmen, die verfluchten Drogen aufgeben und endlich leben wie ein normaler Mensch. Und Ljussja aus dem Heim holen, egal, was deine Mutter davon hält. Mit solcher Sünde darf man nicht leben, Oleg, das darf man einfach nicht. Das Kind hat Vater und Großmutter und ist im Heim! Auch wenn Ljussja behindert ist, schwachsinnig, aber du sagst selbst, sie ist sehr lieb, und sie ist dein leibliches Kind. Sei ein Mensch, nimm sie zu dir.«
»Ljussja ist nicht schwachsinnig.« Oleg kniff die Augen zusammen und schüttelte den Kopf. »Sie ist eine Mutantin, ein geheimnisvolles Wesen, das nicht nach den üblichen idiotischen Regeln lebt, sondern nach ihren eigenen.«
Schritte näherten sich auf dem Kies, kurz darauf klopfte es an der Tür.
»Wer ist das denn noch?« Oleg fuhr zusammen.
»Vielleicht ist Xenia zurück?« Raïssa ging ächzend in die Veranda. Vor der Tür stand ein hochgewachsener sympathischer Mann in nagelneuen Jeans und hellblauem Hemd.
»Guten Tag. Hauptmann Kossizki. Kriminalmiliz.« Er zeigte ihr seinen aufgeklappten Ausweis.
»Oh!« Raïssa presste die Hand vor den Mund. »Was ist denn passiert?«
»Ich muss Oleg Solodkin sprechen.«»Kennen Sie diese Personen?« Der höfliche junge Hauptmann, der stellvertretende Chef der Kriminalabteilung, breitete vor Xenia eine Patience Fotos aus.
»Nein«, antwortete sie, ohne auch nur einen Blick darauf zu werfen.
»So, nun beruhigen wir uns mal und unterhalten uns ohne Emotionen.«
»Ich bin ganz ruhig. Ich will bloß
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