Das Haus der bösen Mädchen: Roman
nicht mit Ihnen reden.«
»Aber wir haben uns doch in aller Form bei Ihnen entschuldigt. Ich bitte Sie nur, sich diese Phantombilder anzusehen und zu sagen, ob Sie jemanden darauf erkennen.«
»Ich weiß nicht.«
»Warum haben Sie um Hilfe gerufen?«
»Weil ich von einem Mann verfolgt wurde.«
»Wissen Sie, wer er ist?«
»Nein, keine Ahnung.«
»Warum hatten Sie dann Angst? Sie haben doch nach der Miliz gerufen, oder?«
»Ja, das habe ich, und ich bereue es. Wenn eine hysterische Alte mich als Diebin bezeichnet, ist das eine Sache, aber wenn Mitarbeiter der Miliz das tun, und zwar ohne jeden Grund, bloß weil mein Mann zwanzig Jahre älter und unsere Wohnung teuer eingerichtet ist … Kann ich jetzt gehen? Ich muss mein Kind stillen, und ich bin erschöpft. Also, auf Wiedersehen.«
»Nun warten Sie doch, Ihr Kind schläft ja ganz ruhig.«
Hauptmann Melnikow berührte ihre eiskalte, zitternde Hand. »Erst ist ein Mann in Ihre Wohnung eingebrochen, dann hat er Sie auf der Straße verfolgt. Denken Sie doch wenigstens an Ihr Kind! Sehen Sie sich diese Personen an. Vielleicht ist der Einbrecher darunter.«
»Ich würde ihn kaum erkennen. Er trug eine dunkle Brille.«
»Aha, das ist schon mal was. Also, versuchen wirs der Reihe nach. Wie groß war er?«
»Nicht sehr groß. Etwa einsfünfundsiebzig. Hager, aber breite Schultern. Kurze, blonde Haare. Die Augen … Ich glaube, braun, aber ich bin nicht sicher. Ohne Brille habe ich ihn nur einige Sekunden lang gesehen. Das Gesicht – ziemlich regelmäßig, ein Durchschnittsgesicht, wie auf einem Plakat, bestimmt kann er sein Äußeres mühelos verändern.« Während sie redete, betrachtete sie die Phantombilder, ließ die Augen über die Bilder gleiten und verstummte plötzlich mitten im Wort, als sei sie über eines davon gestolpert. »Ja, er ist sehr unauffällig, das ist vielleicht sein wichtigstes Kennzeichen. Alles ist Durchschnitt – seine Größe, sein Alter, sein Körperbau. Er trug ein blaues T-Shirt, hellblaue Jeans, nagelneue weiße Turnschuhe …«
Ihr Blick war auf eins der sieben Phantombilder gerichtet. Der Hauptmann sah, auf welches, drängte sie aber nicht, sondern wartete schweigend.
Die Information über den Serientäter, der zwei Personen getötet und einen Unterleutnant der Miliz verletzt hatte, war gestern reingekommen. Und vor knapp einer Stunde hieß es, er sei auf einem Hof in der Nähe gesehen worden, und zwar genau auf dem Hof des Hauses, in dem diese nervöse junge Mutter mit dem Baby wohnte. Gut möglich, dass die nächtliche Einsatzgruppe im Irrtum gewesen war mit ihrer Einschätzung, es habe sich um falschen Alarm gehandelt. Hauptmann Melnikow wusste, wie sein Kollege, Hauptmann Smatschny, nicht nur Verdächtige, sondern auch Geschädigte behandelte. Natürlich nicht immer, nur, wenn er sich mit seiner Frau gestritten hatte. Und wenn die Wohnung, zu der sie gerufen wurden, schick und teuer eingerichtet war, hatte man von Hauptmann Smatschny nichts Gutes zu erwarten.
»Der hier«, flüsterte Xenia Solodkina und wurde so blass, dass Melnikow erschrak. Ihr Finger zeigte auf das Phantombild des Serientäters.
»Wer ist das?«, fragte sie und hob die großen blauen Augen, die so erschrocken wirkten, dass Melnikow sich für seinenflegelhaften Kollegen schämte, der der Geschädigten wer weiß was unterstellt hatte, statt sich ernsthaft mit der Sache zu befassen, und für die widerliche Alte, die das Mädchen als Diebin beschimpft hatte, einfach so, aus Lust und Laune.
»Wir fahnden nach ihm«, antwortete der Hauptmann unbestimmt. »Und wir brauchen dringend Ihre Hilfe.«
»Er hat eine Pistole«, sagte Xenia leise. »Er hätte uns beinahe getötet. Er kam in der Nacht in die Wohnung, er muss einen Schlüssel gehabt haben, denn mit einem Dietrich lässt sich das Schloss nicht öffnen. Er hat sich seelenruhig im Bad gewaschen. Ich habe ihm Deospray in die Augen gesprüht, das Licht ausgemacht, die Badtür von außen abgeschlossen und bin weggerannt. Natürlich kam er ziemlich schnell raus. Aber steht das nicht alles im Protokoll? Ich habe das Ihren Leuten heute Nacht ausführlich erzählt. Doch sie haben mir nicht geglaubt, und Ihr, wie hieß er noch – Smatschny oder so ähnlich.« Sie lachte bitter auf. »Ja, dieser Smatschny hat gesagt, ich hätte mir das alles ausgedacht, um meine Schwiegermutter heimlich zu bestehlen.«
»Das hat er gesagt?« Melnikow schüttelte den Kopf.
»Genau das. Er hat mich behandelt wie eine
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