Das Haus der bösen Mädchen: Roman
ein Werbeclip. Jedes der Kinder hätte zum Fotomodell getaugt, besonders zwei vollkommen gleich aussehende blonde Mädchen. Die Kinder wussten, dass sie gefilmt wurden, und produzierten sich entsprechend. Sie warfen verschmitzte, fröhliche Blicke in die Kamera, zwinkerten, schickten Luftküsse und schnitten lustige Grimassen. Die Kamera wackelte und bebte wie verrückt.
Xenia sah die zitternden Hände ihres Mannes vor sich und seine ganze unschöne Gestalt mit dem großen Kopf und den schmalen Schultern. Warum er das alles filmte, wer diese Kinder und die Frau in Rot waren und wo sich dieser von Birken gesäumte Rasen befand, wusste Xenia nicht. Ihr erster Gedanke war, ihr Mann wolle sich ein bisschen Geld verdienen mit verkappter Werbung – diese Idylle sah doch sehr nach bestellter Reportage aus. Aber mit einer Amateurkamera und mit derartig zitternden Händen drehte man keinen Fernsehbeitrag.
Im nächsten Augenblick erschien eine neue Figur im Bild. Ein seltsames, furchterregendes Geschöpf kam mit schweren, plumpen Schritten auf den Rasen gewatschelt. Es war in ein bodenlanges schwarzes Gewand gehüllt und hatte einen kahlen schwarzen Kopf mit kleinen roten Hörnern, riesige, runde rote Augen, ein rundes, rot umrahmtes Loch anstelle des Mundes und schiefe gelbe Hauer. Bei genauerem Hinsehen erkannte Xenia, dass es nur ein Kostüm war.
Auf dem Rasen trat Stille ein. Die Kinder erstarrten, dieFrau in Rot erhob sich abrupt, ging zu der verkleideten Gestalt und fragte leise und barsch: »Was soll das? Wer hat dir das erlaubt?«
Unter dem Gewand kamen mollige weiße Hände hervor und zogen ungeschickt die Maske vom Kopf. Die Frau half dabei und hatte bald das ganze Kostüm in der Hand. Anstelle des Teufels stand nun ein kurzbeiniges, dickes Mädchen von vierzehn Jahren auf dem Rasen. Ein flaches, breites Gesicht mit unreiner, blassgrauer Haut; ein dümmliches, zaghaftes, aber gutmütiges Lächeln. Die engen weißen Shorts und das gestreifte Lycrashirt zwängten ihren formlosen, schlaffen Körper unvorteilhaft ein. Über ihren Ohren standen zwei dünne gelbblonde Zöpfe mit grellrosa Bommeln ab. Das Mädchen war mitten auf dem Rasen erstarrt und schaute erschrocken und verwirrt um sich. Sie bewegte die Lippen, und durch das Vogelgezwitscher und das verhaltene Kichern der anderen Kinder hörte man deutlich ihr hastiges Murmeln: »Ich tus nie wieder, Ehrenwort, ich tus nie wieder, Mama Isa, ich war ungezogen, ich tus nie wieder.«
Die Dame im roten Badeanzug verschwand mit dem Kostüm. In den Augen des Mädchens stand Panik. Sie rührte sich nicht von der Stelle und wusste nicht, was sie nun tun sollte. Da kam eines der hübschen Zwillingsmädchen ihr zu Hilfe.
»Lussja, Kleines, komm her!«, rief sie. »Komm her, ich tröste dich.«
Ein glückliches, dankbares Lächeln trat auf das flache graue Gesicht, und das Mädchen eilte auf den Ruf zu. Ein Ball flog ihr entgegen, sie streckte die Arme aus, um ihn zu fangen, schaffte es aber nicht, und der Ball prallte gegen ihre Brust. Ljussja schrie auf.
Auf dem Bildschirm bebte ihr erstauntes, verwirrtes Gesicht, das Mädchen versuchte zu begreifen, was es jetzt tun sollte. Sie wollte weinen, der Aufprall hatte wehgetan, aber sie wusste, das durfte sie nicht, also zwinkerte sie heftig, bisssich auf die Lippen und bemühte sich mit aller Kraft, zu lächeln.
Irgendetwas in den verschwommenen Zügen des Mädchens kam Xenia bekannt vor. Dieses unglückliche, geistig zurückgebliebene Kind erinnerte sie an jemanden, aber sie wusste nicht, an wen. Die hervorquellenden hellbraunen Augen, die runde kleine Knopfnase, das blonde Haar, dünn und weich wie Kükenflaum. Der große Kopf pendelte auf dem dünnen Hals hilflos hin und her. Der schüttere Pony zitterte im Wind und entblößte die qualvoll in Falten gelegte Stirn.
»Nicht weinen, Ljussja! Nein, nicht weinen! Komm zu mir, meine Kleine, komm her«, ertönte Olegs Stimme. Natürlich war das seine Stimme, da war sich Xenia sicher. Aber sie klang ganz anders. So redete er sonst mit niemandem. Normalerweise sprach er grob, abgehackt, und seine Stimme klang, als schlügen in seiner Kehle eiserne Gewichte gegeneinander. Doch dort auf der idyllischen Wiese, mit der Kamera in den zitternden Händen, war er ein ganz anderer Mensch, sanft, zärtlich, voller Liebe.
Das Gesicht des Mädchens kam näher, wurde größer; nun sah man alle ihre Pickel und die Feuchtigkeit in den großen, klaren Kinderaugen. Hinter ihrem Rücken
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