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Das Haus der bösen Mädchen: Roman

Das Haus der bösen Mädchen: Roman

Titel: Das Haus der bösen Mädchen: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Polina Daschkowa
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und Pralinen besucht hatte, lösten bei ihr eine stille Panik aus, sie wurde rot, erschrak und verstummte, wobei sie krampfhaft am Gürtel ihres Krankenhauskittels nestelte.
    In der Jugendabteilung der psychiatrischen Klinik war die vorläufige Diagnose »Oligophrenie im Stadium der Debilität« gestellt worden, das heißt, Ljussja litt an der leichtesten Form geistiger Behinderung.
     
    »Sag mal, Oleg, drehst du jetzt Werbeclips?«, fragte Xenia leichthin, als ihr Mann auf die Datscha zurückkehrte.
    Er war mit dem Taxi gekommen, wollte nichts essen, sank aufs Sofa und schlief vor den Abendnachrichten ein. Xenia saß im Schaukelstuhl neben ihm und stillte das Baby.
    »Hm-hm?«, erwiderte er auf ihre Frage, ohne die Augen zu öffnen.
    »Ich hab unterm Bett zufällig eine Kassette gefunden«, sagte Xenia etwas lauter. »Was sind denn das für Kinder?«
    »Lass mich in Ruhe«, murmelte er und drehte sich zur Wand.
    »Mach ich, wenn dus mir erzählt hast.«
    Die Antwort war ein Schnarchen. Weiterzureden war sinnlos. Xenia seufzte, erhob sich und ging hinauf, um das Kind ins Bett zu bringen. Als sie weg war, schaltete Oleg den Fernseher aus und ging auf Socken hinaus in den vom Mondlicht beschienenen Garten. Im nassen Gras zirpten die Grillen. Oleg reckte sich mit knackenden Gelenken, legte den Kopf in den Nacken, schaute gleichgültig in den weiten, klaren, sternenübersäten Himmel und dachte mit gequälter Miene daran, wie sehr er das alles früher gemocht hatte – den nächtlichen Garten, den glitzernden Tau auf den dunklen Stachelbeersträuchern, den entfernten Chor der Frösche und den nahen, einsamen Gesang der Nachtigall. Jetzt empfand er die feuchte, frische Sommernacht als beleidigend, wie Gelächter auf einer Beerdigung.
    Bist du jung, schön und erfolgreich, dann bist du dumm genug, zu glauben, dass die Sterne, Rosen und Nachtigallen nur für dich da sind und dich genauso lieben wie du sie. Bist du aber verbraucht, krank und dir selbst zuwider, fühlst du dich beim Anblick der Sterne endgültig beschissen. Du weißt, dass sie lügen, all diese süßen Töne und Gerüche. Wenn du morgen an einer Überdosis krepierst, trällert die Nachtigall genauso selbstvergessen, und die Sterne funkeln nicht blasser.
    Solodkin hatte seit seiner Kindheit das Gefühl, ein fremdes, ihm widerstrebendes, unwürdiges Leben zu leben. Er wollte anders aussehen, anders denken und fühlen. Er wusste genau: Die Hölle – das sind die anderen Menschen und die äußeren Umstände. Es ist ein seelischer Zustand, und daran kannst du nichts ändern. Er mochte sich nicht, weder innerlich noch äußerlich, er konnte sich nicht leiden, und noch im reifen Alter wünschte er sich beim Einschlafen, von Ekel und Scham gepeinigt wie ein onanierender Halbwüchsiger, am nächsten Morgen als ein anderer Mensch aufzuwachen.
    Die Erinnerung an seine ehemalige Kommilitonin Mascha wurde für ihn zu einer Art Bestätigung, dass das andere Leben existierte und er früher oder später aus der fremden Realität in seine wahre, eigene wechseln würde.
    Einmal sah er Mascha im Fernsehen. Zusammen mit einem Filmteam sprach sie vor der Kamera über einen neuen, demnächst im Fernsehen ausgestrahlten Film. Aus dem rührenden Mädchen war eine hochmütige Dame geworden, sie war nun zwar schöner, aber der einstige Zauber war dahin. Oleg fühlte sich frei. Mascha existierte nicht mehr. Nur noch eine kalte, fremde Frau, die ihn irgendwie an seine Mutter erinnerte und also langweilig war und durch und durch falsch. Daraus folgte, dass es für ihn kein anderes Leben geben würde. Alles nur Trug, kindliche Illusion. Er musste hier und jetzt leben.
    Aber hier und jetzt war es unerträglich öde.
    Er verging vor Trübsal, bis er ein ausgezeichnetes Gegenmittel gefunden hatte. Es begann mit Marihuana. Auf das Marihuana folgte Kokain, dann ein Sud aus Mohnstroh.
    Nach und nach wurde sein Leben zu einer Abfolge von »Trips« und »Cold Turkeys«, Streit mit den Eltern und erzwungenen Therapien nach den verschiedensten Methoden. Oleg zog sich in eine innere Wirklichkeit zurück, stand ständig unter Drogen, nahm zehn Kilo ab und schrieb einen verworrenen Roman über die Reise eines mysteriösen Ichs durch den eigenen Blutkreislauf.
    Die Eltern brachten ihn gegen seinen Willen in eine geschlossene Klinik. Oleg wurde mit allen zugänglichen Methoden behandelt. Bei einem Routinegespräch mit den Eltern bemerkte der Arzt gereizt, es handle sich um einen sträflich

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