Das Haus der bösen Mädchen: Roman
vernachlässigten Fall, der Patient zeige keinerlei Willen, von der Drogenabhängigkeit loszukommen, und es gebe kaum Hoffnung auf einen glücklichen Ausgang. Das war für Olegs Vater der letzte Sargnagel. Noch im Sprechzimmer des Arztes erlitt er einen Herzanfall, und zwei Stunden später starb er auf der Intensivstation, ohne noch einmal das Bewusstsein erlangt zu haben.
Auf der Beerdigung des Vaters weinte Oleg zum ersten Mal und fasste zum ersten Mal den festen Entschluss, aufzuhören. Er ging zurück in die Klinik, machte die Therapie zu Ende und kam als ein neuer Mensch wieder raus, griesgrämig und gleichgültig gegen alles außer seiner Gesundheit.
Seine Mutter ging energisch daran, sein Leben zu managen. Sie brachte in Erfahrung, was seine einstigen Kommilitonen machten, mit denen er ihrer Ansicht nach befreundet war, lud die Erfolgreichsten und Zuverlässigsten ein, bewirtete sie großzügig und tat alles, damit Oleg nicht von Einsamkeit gepeinigt wurde, sondern von passenden Freunden umgeben war.
Die tragischen familiären Ereignisse hatten Galina nicht gehindert, sich flexibel den neuen wirtschaftlichen Verhältnissenanzupassen. Anfang der neunziger Jahre war aus der einstigen einflussreichen Ministeriumsangestellten eine geschäftsstüchtige Unternehmerin geworden, und bald machte sie das erste richtige Geld. Einen Teil davon investierte sie in die neugegründete Jugendzeitschrift »Blum«, die ein ehemaliger Kommilitone von Oleg herausgab. Dafür bekam Oleg den ruhigen, respektablen Posten des stellvertretenden Chefredakteurs.
Fast ein Jahr hielt er ohne Drogen durch, dann rauchte er auf einer Party Marihuana und landete bald wieder bei härterem Stoff. Wieder machte er eine Therapie, schaffte es ein halbes Jahr ohne Drogen, wurde erneut rückfällig – ein Teufelskreis ohne Ende.
Im letzten Frühjahr rutschte er nach einer weiteren Therapie auf einer Bananenschale aus und brach sich ein Bein. Der Bruch war kompliziert. Oleg lag in einem Einzelzimmer und litt. Starke Schmerzmittel waren ihm versagt, und schwache halfen nicht. Die Schmerzen waren zermürbend, Oleg verlor fast den Verstand, sein Bewusstsein trübte sich, er wünschte sich nichts so sehr wie eine Morphiumspritze und bot seine letzte Kraft auf, diesen Gedanken zu unterdrücken.
Als er eines frühen Morgens aus seinem trüben, qualvollen Dämmerzustand erwachte und die Augen öffnete, wusste er, dass er nun endgültig den Verstand verloren hatte. Er halluzinierte: In seinem Zimmer stand Mascha. Sein gescheitertes anderes Leben. Und das Verblüffendste: Sie sah nicht aus wie die erfolgreiche kühle Dame von neununddreißig, sondern genauso wie damals, im ersten Studienjahr. Sie trug einen weißen Krankenhauskittel und ein tief ins Gesicht gezogenes Häubchen. Sie schaute ihn aus durchsichtigen blauen Augen an, schlug die schwarzen Wimpern auf und sagte: »Na, aufgewacht? Guten Morgen!« Oleg vernahm Klappern, Wasserplätschern und hörte einen nassen Lappen auf den Boden klatschen. Die Halluzination wischte den Fußboden. Oleg drehte den Kopf in ihre Richtung.
»Störe ich?«, fragte sie lächelnd.
»Wer sind Sie? Wieso …«, flüsterte er mit trockenen Lippen.
»Ich bin die Stationshilfe. Aber regen Sie sich nicht auf, ich wische nur rasch und bin gleich wieder weg.«
»Nein. Nicht.«
»Was? Nicht wischen?« Sie erstarrte mit dem Schrubber in der Hand. »Gleich ist Visite. Ich krieg einen Heidenärger, wenn der Fußboden nicht sauber ist. Sie sind schließlich Privatpatient, einer von den Reichen. Ich mache wirklich ganz schnell und leise, ehrlich.«
»Nicht weggehen«, murmelte Oleg kaum hörbar und setzte lauter und ruhiger hinzu: »Wie heißt du?«
»Xenia.«
»Wie alt bist du?«
»Achtzehn.«
Klar, das war nicht Mascha. Kein Grund durchzudrehen. Einfach eine hübsche Stationshilfe, eine Putzfrau, eine Rotznase. Oleg schloss die Augen, um noch ein wenig zu dösen, und verspürte erstaunt eine fast vergessene Hitze in der Brust.
Xenia wischte den Boden und verschwand im Bad. Oleg hörte, wie sie das Schmutzwasser ausgoss. Als sie mit Schrubber und leerem Eimer wiederkam, fragte er sie, ob sie ihm beim Waschen helfen könne.
»Die Schwester kommt doch gleich, ich muss noch fünf Zimmer wischen bis zur Visite.«
»Das ist überhaupt nicht schwer. Sie müssen nur mein Bein losmachen, mir auf die Krücke helfen und mich ins Bad bringen.«
Sie blickte zur Uhr, zuckte die Achseln und sagte: »Na gut.«
Während er sich
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