Das Haus der bösen Mädchen: Roman
ignorierte, aber dennoch ihre Nase in alles steckte.
Galina zuckte die Achseln. »Wir melden sie ja nicht bei uns an. In einem halben Jahr ist sie wieder weg.«
»Wieso?«, fragte Raïssa erstaunt.
»Wenn ich mich jetzt einmische, dauert die Ehe womöglich noch Jahre. Die geringste Bemerkung von mir gegen sie oder ihn, und ich mache mich zu ihrer beider Feindin. Nichts schweißt so sehr zusammen wie ein gemeinsamer Feind.«
Die weise Solodkina behielt recht. Nach genau einem halben Jahr zog Lena aus und verschwand spurlos, als hätte es sie nie gegeben. Dann kamen und gingen andere, und Raïssa zog es vor, alles zu ignorieren. Entweder sie kündigte gleich, oder sie tat, als wäre sie taubstumm. Ihr Mann war inzwischen in Rente gegangen, der Schwiegersohn trank, eine Enkelin war geboren worden, und sie alle wollten essen, und darum musste sich Raïssa mit Händen und Füßen an ihre Stelle klammern. Schließlich fand eine Fünfzigjährige ohne jede Ausbildung nicht ohne weiteres eine anständige, hochbezahlte Arbeit.
Xenia war erst seit kurzem im Haus. Nachdem es lange so ausgesehen hatte, als würde Oleg nie wieder heiraten, hatte sich doch noch ein Dummchen gefunden. In den ersten Tagen hätte Raïssa ihr am liebsten wenigstens angedeutet, wo sie hier gelandet war, was es hieß, in diesem Haus Schwiegertochter zu sein, doch dann sagte sie sich vernünftigerweise: Was geht mich das an? Sie war hier eine Fremde, eine Angestellte. Außerdem war Xenia keineswegs ein Dummchen. Und Galina schien wie ausgewechselt, sie hatte offenbar einen Narren gefressen an der dürren Kleinen. Sie kleidete sie in teuren Läden ein und nahm sie zu Empfängen mit. Allein, ohne Oleg. Wenn seine Mutter Gäste hatte, stellte er sich krank und verkroch sich in seinem Zimmer.
Fünf Monate nach der Hochzeit brachte Xenia ein Mädchen zur Welt. Die Solodkins wirkten vor Glück wie verjüngt. Das Mädchen war wirklich süß und vor allem gesund.
Glück gehabt, dachte Raïssa.
Ende April war das Baby einen Monat alt geworden, und die ganze Familie war auf die Datscha umgezogen; Raïssa fuhr an ihren freien Tagen nach Moskau. Im Juni reiste Galina nach Südfrankreich, wo sie jeden Sommer Urlaub machte. Sie wollte auch Xenia und die kleine Mascha mitnehmen, aber die Schwiegertochter hatte eingewandt, das Kind sei noch zu klein, wer weiß, wie es den Flug und den Klimawechsel verkraften würde, und außerdem müsse sich Oleg schließlich an seine Tochter gewöhnen.
Raïssa fand das dumm von ihr. Kein Klimawechsel konnte so schädlich und gefährlich sein wie das, was sich hier auf der Datscha abspielte.
»Nur gut, dass das Kind noch nichts versteht«, knurrte Raïssa. »Das ist kein Mann, das ist ein Vieh. Macht das Haus hier zum Puff, lädt Nutten ein, und das vor seiner jungen Frau und dem Baby, und ich darf hinterher den Dreck wegräumen.«
Es war still im Haus. Oleg schlief noch immer in der Hängematte;die Sonne schien ihm direkt ins Gesicht, doch nach der wilden Party in der Nacht konnte ihn nichts aufwecken. Die große antike Uhr im Esszimmer schlug vier. Raïssa fuhr auf – in zehn Minuten begann ihre Lieblingsserie im Fernsehen. Sie weckte Oleg nicht, ging wieder ins Haus, trat an die Treppe und rief: »Xenia! Das Essen ist fertig!«
Keine Antwort.
Dann eben nicht, dachte Raïssa, deckte den Tisch, füllte sich Suppe in einen schönen Teller aus dem Service und etwas Salat in eine Kristallschale, nahm ein Glas und die Flasche mit ihrem geliebten süßen Wein aus dem Büfett und schaltete den Fernseher ein. Mitten in der spannendsten Szene klingelte Olegs Handy. Normalerweise nahm Raïssa die Anrufe entgegen, nun aber langte sie nur nach dem Telefon und schaltete es aus.
Der Himmel war ganz schwarz geworden, in der Ferne grollte Donner, große Regentropfen trommelten aufs Dach. Raïssa dachte daran, hinauszugehen und Oleg zu wecken, stand sogar auf, setzte sich aber wieder hin. Oleg würde schon von allein aufwachen. Und wenn nicht – halb so schlimm. Die Hängematte war von einem breiten, stabilen Dach geschützt. Und überhaupt – sie war schließlich nicht sein Kindermädchen!
Sie spülte das Geschirr, kochte frischen Tee, sah das Fernsehprogramm in der Zeitung durch und entdeckte, dass im ersten Programm gleich eine Sendung mit ihrem Lieblingssatiriker lief. Sie trank eine Tasse Tee mit Erdbeerwarenje, schenkte sich Wein nach und schlief unversehens im Schaukelstuhl ein.
Als sie erwachte, war es dunkel. Die Wanduhr
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