Das Haus der bösen Mädchen: Roman
interessanterweise bei völliger Dunkelheit.«
»Woher weißt du das?«
»Ein Nachbar war in der Nacht mit seinem Hund draußen, und er behauptet, die Fenster der Wohnung seien dunkel gewesen.«
»Wieso hat der Nachbar denn zu den Fenstern geschaut?«
»Weil er Kopfschmerzen hatte und hoffte, dass vielleicht außer ihm noch jemand um drei Uhr nachts nicht schläft und ihm mit einer Aspirin aushelfen könnte.«
»Ich sehe schon, Iwan, du möchtest diesen Ferdinand liebend gern hinter Gitter bringen.« Borodin schüttelte den Kopf. »Was hat er dir bloß getan, he?«
»Er hat eine Frau ermordet. Eine nette, freundliche, hübsche und begabte junge Frau.«
»Und wann ist dir das aufgegangen?«
»Im Krematorium. Da wurde gerade Jump beerdigt, und Ferdinand ist vollkommen ausgerastet und hat behauptet, Mord sei der höchste Ausdruck von Liebe.«
»Du verdächtigst ihn also, weil er spinnt?« Borodin lächelte. »Oder aufgrund spontaner persönlicher Antipathie?«
»Sie werden bald selbst sehen, dass ich recht habe.« Kossizki seufzte. »Das hat nichts mit Antipathie zu tun, obwohl er wirklich ein unangenehmer Typ ist. Wissen Sie, wie alt seine Klara ist? Fünfzig. Und er ist vierzig. Klar, kommt alles vor. Aber Sie sollten diese Klara mal sehen: Zwei Meter groß und rund zweihundert Kilo schwer. Und er ist klein und dürr. Dafür hat sie eine passable Wohnung. Zwei Zimmer und eine große Küche.«
»Entsetzlich!« Borodin schlug die Hände zusammen. »Dieser Ferdinand heiratet auch noch aus Berechnung. Ein ausgemachter Schurke!«
»Sparen Sie sich Ihre Ironie. Jawohl, er heiratet aus purer Berechnung. Klara kann nämlich obendrein keinen ganzen Satz bilden, sie hat gerade mal acht Klassen, sie ist Anstreicherin auf dem Bau. Und er hat Biologie studiert und promoviert. Allerdings arbeitet er zur Zeit nicht in seinem Beruf, sondern verdient sich sein Geld mit allem Möglichen; mal übersetzt er einen erotischen Roman aus dem Französischen, dann arbeitet er bei der Wohnungsverwaltung als Elektriker oder in einer Brigade, die Einbauschränke montiert.«
»Was ist daran schlecht?« Borodin schob Kossizki eine Plastikbox mit Möhrensalat hin. »Iss wenigstens ein bisschen davon, mir ist schon ganz übel von so viel Gemüse.«
»Danke. Ich verabscheue Möhren seit meiner Geburt«, knurrte der Hauptmann und zündete sich eine Zigarette an. »Seinen Beruf hat Lunz wegen seiner krankhaften Eitelkeit aufgegeben. Er ist ein Mann der Extreme. Entweder alles – Berühmtheit und Nobelpreis – oder nichts. Erotische Romane und Einbauschränke.«
»Hat er dir das erzählt?«
»Nein, natürlich nicht. Er hat gesagt, vom Gehalt eines wissenschaftlichen Mitarbeiters könne er nicht leben. Aber seine ehemaligen Kollegen am Lehrstuhl haben sich genauer darüber ausgelassen.«
»Mochten die Kollegen ihn nicht?«
»Den mag niemand. Bis auf die gutherzige Riesin Klara. Sie hat ihn quasi adoptiert, den armen Kleinen. Und er hat alles genau kalkuliert. Sie hat eine Wohnung, sie kocht gut, verdient nicht schlecht und ist ein einfaches, gutmütiges, arbeitsames Weib – sie wird ihn hegen und pflegen, das verkannte Genie.«
»Hör auf, Iwan.« Borodin runzelte die Stirn. »Du widersprichst dir selber. Du zeichnest das psychologische Porträteines Mannes, der vollkommen unfähig ist zu einem derartig irrsinnigen Mord.«
»Wieso irrsinnig?« Kossizki sprang auf und lief in dem kleinen Büro auf und ab. »Stellen Sie sich vor, er war viele Jahre hinter Lilja her, das war eine Art Manie, die Zurückweisung verletzte sein Selbstwertgefühl, führte zu schweren Komplexen, nahm ihm die Luft …«
»Moment, Moment!« Borodin hob beschwichtigend die Hand. »Setz dich erst mal hin und beruhige dich. Dein Rumgetigere macht mich ganz nervös. Aus dir spricht nicht der gesunde Menschenverstand, sondern persönliche Abneigung, das weißt du ganz genau. Selbst wenn Lunz ein unangenehmer Mensch ist – du bist Profi, Iwan, also reiß dich gefälligst zusammen.«
»Stimmt, er macht mich wütend.« Iwan sank auf einen Stuhl und trank den restlichen erkalteten Tee in einem Zug aus. »Aber außer meinen Emotionen haben wir auch Fakten. Ein Motiv und das fehlende Alibi. Wissen Sie, was er mir bei unserer letzten Begegnung geboten hat? Ich wollte von ihm wissen, warum er wortlos weggerannt ist, als ich ihn gefragt habe, ob er Ljussja besuchen wird. Er hat geantwortet, ihm würde übel, wenn man das debile Mädchen nur erwähne. Eigentlich habe sie
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