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Das Haus der bösen Mädchen: Roman

Das Haus der bösen Mädchen: Roman

Titel: Das Haus der bösen Mädchen: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Polina Daschkowa
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wirklich erschöpft«, sagte Borodin sanft, »ich denke, für heute ist es genug. Ich habe Verständnis für Ihren Zustand, Sie haben eine Frau verloren, die Ihnen sehr viel bedeutete. Seien Sie so gut und lesen Sie sich das Protokoll durch.«
    Borodin beobachtete, wie Ferdinands Augen gleichgültig über die Zeilen huschten.
    »Ja, alles in Ordnung«, sagte er und gab das Papier zurück.
    »Bitte hier, unter ›Nach meinen Worten wahrheitsgemäß aufgezeichnet‹ Unterschrift und Datum. Und das hier bitte noch ausfüllen.«
    »Was ist das? Eine Verpflichtung, nicht zu verreisen?«
    »Nur eine Formalität«, beruhigte ihn Borodin. »Sie wollen doch Moskau ohnehin in nächster Zeit nicht verlassen?Wir müssen uns jederzeit mit Ihnen in Verbindung setzen können.«
    »Ich laufe schon nicht weg. Ich wüsste nicht, warum und wohin.«

Elftes Kapitel
    Das Bad in der Stadtwohnung der Solodkins hatte die Anmutung einer Unterwasserwelt: Türkisfarbene Fliesen mit verschlungenen Algen und zarten Wasserlilien; Türkis- und Malachitintarsien an Schranktüren und am Rahmen des ovalen Spiegels; zierliche Seepferdchen, Tintenfische und Krabben. Auf den vergoldeten Wasserhähnen blitzten blaue und grüne Zirkonitsteine.
    Mascha badete gern, sie lachte und strampelte fröhlich mit den Beinen. Xenia drehte sie vom Rücken auf den Bauch, redete zärtlich auf sie ein, sah aber anstelle des schicken Whirlpools die schrundige Sitzwanne im Haus ihrer Eltern vor sich und den dicken Gummischlauch, der auf den Wasserhahn gezogen wurde, weil die Dusche meist kaputt war. Über der Wanne baumelte ständig Wäsche, und es roch nach Kernseife.
    Sie kniff die Augen zusammen, schüttelte den Kopf, um das Bild der eigenen verhassten Kindheit zu verscheuchen, und zwang sich zu einem fröhlichen Lächeln.
    »So, mein Sonnenschein, das ist genug. Gleich gibts was zu essen, und dann gehst du schlafen.« Sie wickelte Mascha in ein flauschiges grünes Handtuch und erstarrte plötzlich, das Kind an die Brust gedrückt und die Nase auf dem warmen, feuchten Köpfchen.
    Sie hatte sich angewöhnt, Mascha alles zu erzählen, was sie als Nächstes machen würden, und das waren lauter angenehme Dinge: Stillen, Spazierengehen und Schlafen in dem Bettchen, das aussah wie die Wiege einer Märchenprinzessin. Jede Kleinigkeit, die das Kind umgab, war nahezu einKunstwerk, und jede Minute war ein kleines Fest. Maschas Babyzeit bildete ein strahlendes Mosaik und sollte ihr als behaglicher Paradiesgarten in Erinnerung bleiben, in dem es stets warm, hell und sauber war, wo es nach Blumen duftete, wo handzahme Vögel mit süßer Stimme sangen und alle Fische golden waren und sprechen konnten. Und wo vor allem die Mama ständig um sie war – stark, ruhig und verlässlich.
    Hör auf, befahl sich Xenia, aber sie hatte keine Kraft mehr. Tränen rannen ihr über die Wangen, Mascha schob sofort die Unterlippe vor und begann zu weinen.
    Ich kann nicht mehr, ich kann nicht mehr – Xenia war machtlos gegen diesen Ausruf in ihrem Kopf und verzweifelte noch mehr, weil sie sich deshalb heftige Vorwürfe machte. Durch den Stress kann die Milch ausbleiben, und selbst wenn nicht, überträgt sich die Nervosität der Mutter auf das Kind. Du hast ruhig und lebensfroh zu sein, nur dann ist dein Kind psychisch gerüstet für sein ganzes Leben.
    Nach anderthalb Stunden war alles Notwendige erledigt. Mascha schlief fest in ihrem hübschen Bettchen; Xenia saß in einem langen T-Shirt eine Weile auf dem Küchensofa, die nackten Beine angezogen, und starrte vor sich hin, auf die Tür des Geschirrschrankes, auf das farbenfrohe Glasmosaik.
    Nein, Xenia, das ist kein Glas, das sind Plättchen aus echtem Bergkristall. Eine schöne Einrichtung erfreut nicht nur das Auge, sie wirkt auch wohltuend auf das Unterbewusstsein. Wer von schönen, teuren Dingen umgeben ist, fühlt sich stark und sicher. Dinge haben nicht nur eine funktionale, sondern auch eine repräsentative Bedeutung. Die Steine auf den Wasserhähnen, die Fläschchen und Döschen auf dem Regal unterm Spiegel, die Haarbürste, der Kugelschreiber, das Feuerzeug und die Uhr – all das verrät viel mehr über einen Menschen als Worte und sogar Taten.
    Galina Solodkina plauderte gern mit ihrer Schwiegertochter. Das heißt, sie plauderte, und Xenia machte ein klugesGesicht und nickte. Galina verfügte über einen großen Vorrat an belehrenden Monologen. Ihr Sohn hörte ihr nie zu, aber nun konnte sie sich frei entfalten. Xenia war für Galina

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