Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Haus der bösen Mädchen: Roman

Das Haus der bösen Mädchen: Roman

Titel: Das Haus der bösen Mädchen: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Polina Daschkowa
Vom Netzwerk:
machte er sich ernsthaft Sorgen. Er blätterte im Telefonbuch und versuchte sich zu erinnern, wer von ihren Freundinnen im Moment in Moskau und wer auf der Datscha war.
    Er zögerte, zu früh in Panik zu verfallen und die alten Damen mitten in der Nacht zu beunruhigen. Ihn quälte der Gedanke, dass seine Mutter vielleicht gekränkt war. In letzter Zeit hatte er kaum mit ihr geredet, er reagierte meist gereizt und verkroch sich am liebsten in seinem Zimmer. Er wusste genau, woran das lag. Genauer gesagt, an wem. Natürlich an Jewgenija Rudenko.
    Noch war nichts passiert, und dabei würde es wohl auch bleiben. Was er für Jewgenija empfand, war für niemanden außer ihm selbst von Belang. Er hoffte nicht auf Gegenseitigkeit und wollte das mit sich allein abmachen – seine Mutter aber war daran gewöhnt, dass es zwischen ihnen keinerlei Geheimnisse gab.
    Um Viertel vor zwölf griff er zum Telefon. Doch in diesem Augenblick klingelte es an der Tür.
    Lydia kam herein, in einem eleganten milchkaffeefarbenen Sommerkostüm, auf dem Kopf einen Strohhut mit einem Band in der Farbe des Kostüms, einen weißen Seidenschal lässig um den Hals geschlungen und ein weißes Lacktäschchen in der Hand. Und in ebenfalls weißen Lackschuhen mit bequemem Absatz. Sie roch nach einem leichten Parfüm, ihre Lippen waren blass geschminkt. Borodin wusste, dass das Kostüm an die zwanzig Jahre alt war, ebenso wie Hut und Schuhe, aber seine Mutter sah darin umwerfend aus. Er stieß einen leisen Pfiff aus, wiegte den Kopf, küsste die Mutter auf die kühle Wange und sagte: »Na, Mamotschka, scheint ja was Ernstes zu sein …«
    »Was Ernstes?« Sie nahm vorsichtig den Hut ab und schüttelte das kurzgeschnittene schneeweiße Haar. »Du denkst doch nicht etwa, ich hätte in meinem Alter ein Rendezvous gehabt?«
    »Doch«, gestand Borodin, hockte sich hin und half der Mutter, die Schuhe auszuziehen, »genau das denke ich schon den ganzen Abend.«
    »Ach, entschuldige, entschuldige.« Sie küsste ihn auf den Scheitel. »Hast du schon gegessen?«
    »Nur Tee getrunken. Und du?«
    »Ich war im Restaurant. Einmal in zehn Jahren kann ich mir das doch erlauben, oder? Zumal wir uns die Rechnung geteilt haben. Es war gar nicht so teuer.«
    »Aber Mama, du musst dich doch nicht rechtfertigen.« Borodin lächelte. »Erzähl mir lieber, in welchem Restaurant du warst und mit wem.«
    »Ich zieh mich erst mal um, dann setzen wir uns hin, essen was, und ich erzähl dir alles«, versprach Lydia und verschwand in ihrem Zimmer. Ihre Augen blitzten listig und geheimnisvoll.
    »Du hast Hunger?«, fragte er durch die Tür hindurch. »Ich denke, du warst im Restaurant?«
    »Ja, stell dir vor. Da hab ich vor allem geredet.«
    Er deckte den Tisch, wärmte die gebratene Makrele auf und schnitt Gurke und Tomaten auf. Lydia kam im Hauskleid aus ihrem Zimmer. Erschöpft ließ sie sich auf einen Stuhl sinken und seufzte vielsagend. Borodin begriff, dass seine Mutter darauf brannte, ihm etwas Wichtiges und Interessantes zu erzählen.
    »Schieß los, Mama, ich bin ganz Ohr.«
    »Nein« – sie schürzte die Lippen –, »erst wird gegessen. Berufliches bespricht man am besten beim Tee.«
    »Aha, Berufliches also?« Borodin lächelte und neigte den Kopf zur Seite.
    »Nicht direkt beruflich, aber sehr wichtig. Ich habe eine Überraschung für dich, Ilja. Nein, für mich bitte keinen Fisch, nur ein bisschen Salat, das genügt. Aber du iss ruhig, lass dir Zeit.«
    Borodin machte sich über den Fisch her.
    Lydia seufzte, stand auf, räumte ein wenig herum, bis sie es schließlich nicht mehr aushielt und aufgeregt sagte: »Also gut, hör zu. Aber unterbrich mich bitte nicht, sonst vergesse ich womöglich etwas Wichtiges.«
    »Klar, Mama. Ich bin ganz Ohr.«
    »Du wirst es nicht glauben, Ilja, ich bin fast verrückt geworden. Dieser Name ging mir die ganze Zeit im Kopf herum und ließ mir keine Ruhe. Ich wusste genau, dass ich jemandem mit diesem Namen schon einmal begegnet bin. Ich habe sämtliche alten Telefonbücher durchgeblättert – vergebens. Aber gegen Morgen durchfuhr es mich dann wie ein Blitz. Ich hatte ja nur unter ›S‹ nachgesehen. Ich habe mich so über mich geärgert, dass ich noch im Morgengrauen aufstand und sämtliche Bücher noch einmal der Reihe nach durchblätterte. Und weißt du, wo ich den verfluchten Namen gefunden habe? Unter ›K‹. Und was meinst du, warum? Weil Galina Solodkina im Ministerium für Kultur angestellt war.«
    »Warte, Mama«, unterbrach

Weitere Kostenlose Bücher