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Das Haus der bösen Mädchen: Roman

Das Haus der bösen Mädchen: Roman

Titel: Das Haus der bösen Mädchen: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Polina Daschkowa
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flüsternd, entriss ihm die Spritze und schleuderte sie quer durchs Zimmer.
    Oleg antwortete mit einer heiseren Schimpfkanonade, kroch grinsend und knurrend zum Sofa und tastete mit der Hand darunter umher.
    Xenia beobachtete ihn schweigend, die Arme um die bebenden Schultern geschlungen. Endlich hatte er die Spritze gefunden, wischte die Nadel an seiner Unterhose ab und versuchte aufzustehen, schaffte es aber nicht und blieb vor dem Sofa sitzen.
    »Hör mal, Xenia, nur einen kleinen Druck, probiers doch wenigstens mal«, sagte er mit matter Stimme ganz friedlich. »Komm, sei ein Mensch, nur einen Druck, ja?«
    »Oleg, geh schlafen, du bist total hinüber.«
    »Ich bin voll gut drauf! Was ist, drückst du jetzt oder nicht? Nein? Na schön« – er seufzte gedehnt –, »dann eben ich.«
    Seine Hände zitterten heftig, er traf die Vene nicht, verlor die Geduld und brüllte: »Was glotzt du so, dumme Kuh! Hilf mir!«
    »Kannst du mal aufhören zu schreien? Du weckst das Kind auf.«
    Er hatte sich schon die Nadel in den Arm gejagt, leerte mit geschlossenen Augen langsam die Spritze und murmelte: »Was für ein Kind? Ich habe kein Kind.«
    Dann zog er die Spritze heraus, blieb eine Weile mit zusammengekniffenen Augen sitzen, öffnete schließlich die Augen, sah Xenia von unten herauf an und sagte mit gebleckten Zähnen langsam: »Was solls, Schluss mit der Lügerei. Ich weiß Bescheid.«
    Er konnte es nicht wissen. Außer Xenia und dem Arzt in der Entbindungsklinik konnte niemand Bescheid wissen.
    »Wen willst du hier verschaukeln? Ich bin schließlich Arzt, seit fünfzehn Jahren Geburtshelfer. Der Fötus ist vollkommen ausgereift, und das heißt: vierzig Wochen. Vierzig, nicht sechsunddreißig.«
    »Aber nein! Ich weiß genau, wann es passiert ist!«
    »Ja, ja, schon gut, mach dir keine Sorgen, ich verstehe. Das hättest du doch gleich sagen können.«
    Oleg hatte sich nun doch aufgerappelt. Schwankend ging er zu Xenia, packte sie am Kragen ihres T-Shirts und keuchte: »Meinst du, ich kann mich nicht erinnern? Ich erinnere mich ganz genau, meine Kleine. Dass Mascha meine Tochter ist, kannst du meinetwegen meiner auf Enkel versessenen Mutter erzählen. Aber nicht mir, klar?«
    Nein, ist sie entzückend, ein Wunder, einfach ein Wunder! Sie sieht aus wie ich, als ich klein war. Weißt du, Oleg war ja auch ein Achtmonatskind, unterentwickelt, das erste Jahr war sehr schwierig. Erstaunlich – die Kleine sieht überhaupt nicht unterentwickelt aus. Die Ärzte sagen einhellig, sie sei gesund und kräftig. Mein Gott, und diese Augen, diese Fingerchen, dieses süße kleine Gesicht! Der reinste Engel. Ich danke dir für dieses Enkelkind, mein Sonnenschein. Ich wusste immer, dass du ein kluges Mädchen bist. Weißt du schon, wie wir sie nennen wollen? Ja, Mascha gefällt mir und Oleg auch gut.«
    Galina war überzeugt: Mit einem jungen, gesunden Mädchen gab es eine Chance, ein gesundes Enkelkind zu bekommen. Sie hatte panische Angst davor, im Alter mit Oleg allein zu sein.
    Sie war eine energische Person und gewohnt, zu erreichen, was sie sich vornahm.
    Früher oder später kriegt er mich an die Nadel, dachte Xenia, während sie sich das Haar bürstete. Und was macht Galina dann? Erst wird sie versuchen, mich wieder clean zu bekommen, wie sie es bei ihm versucht hat. Und schließlich wird sie mich rauswerfen oder in die Psychiatrie stecken, juristisch alles wasserdicht regeln und Mascha allein großziehen.
    Ich könnte zurück zu den Eltern, in die schäbige kleine Wohnung, zurück in die Armut aus Prinzip, und mir jeden Tag hochtrabende Reden anhören, dass das Wichtigste im Leben geistige Werte seien, Geld dagegen den Menschen zu einem niederen, geistlosen Wesen macht, zum Tier. Für Mascha würde das bedeuten: Keine Pampers, keine schönen Spielsachen und Kleider mehr, keine französischen Ferienorte, kein elitäres Gymnasium, wo man von der zweiten Klasse an zwei Fremdsprachen lernt, kein Studium in Oxford oder Cambridge. Und fürs ganze Leben ein instinktiver Widerwille gegen die sogenannten »geistigen Werte«. Damit wird sie nicht Bücher, Musik und Gemälde verbinden, sondern gestopfte Socken und den Gestank nach Kernseife.
    Im Nebenzimmer ertönte leises Weinen. Als spürte Mascha, woran ihre Mutter gerade dachte.

Zwölftes Kapitel
    Borodin war sehr erstaunt, als er feststellte, dass es bereits elf Uhr abends und seine Mutter noch immer nicht zu Hause war. Normalerweise rief sie an, wenn sie später kam.
    Um halb zwölf

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