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Das Haus der Bronskis

Das Haus der Bronskis

Titel: Das Haus der Bronskis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philip Marsden
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sagte Zofia und tippte ihm mit dem Finger gegendie Brust, »aber Sie sind Slawe wie ich   – und morgen sind Sie traurig.«
     
    Drei Tage danach überquerten wir die Grenze und kehrten nach Warschau zurück. Es war fünf Uhr früh, und wir waren beide erschöpft. Am Bahnhof zankten wir uns sinnlos   – darüber, wo wir ein Taxi bekämen, ob Warschau dreckig war oder nicht, wann genau die Konferenz von Jalta stattgefunden hatte   –, bis Zofia den Kopf zurückwarf und lachte. »O Phiilip, wir führen uns auf wie die kleinen Kinder! Wir sind einfach nur müde!« Und kurz darauf saßen wir in einem Taxi, das durch leere Straßen zum Dom Literatury kurvte: eine andere Stadt, ein anderes Dom Literatury.
    Wir mieteten uns dort ein und blieben mehrere Tage, ruhten uns aus, lasen, trafen Freunde und führten ernsthafte Diskussionen mit verschiedenen Schriftstellern. Unsere Zimmer gingen auf den kopfsteingepflasterten Platz vor dem Schloß hinaus, mit einem Blick auf die Weichsel und über die Vorortdächer hinweg auf den Wald dahinter. Die Stadt schien in jenem Mai voller Licht zu sein.
    Auf dem Rückflug sagte Zofia, sie habe das Gefühl, sie habe »den Kreis geschlossen«. Das war es, warum sie den weiten Weg auf sich genommen hatte   – um den Kreis zu schließen.
    In London war es gewittrig und schwül. Vom Flughafen nahmen wir einen Bus in die Stadt. Unsere Reise war zu Ende. Wir standen zusammen auf dem Bahnsteig von Paddington Station, während schwerer Regen auf das Bahnhofsdach trommelte. Zofia fuhr heim nach Cornwall; ich würde in London bleiben.
    »Ich werde dich vermissen«, sagte sie. »Diese letzten Wochen waren für mich ganz unglaublich.«
    »Für mich auch.«
    Sie reckte sich und machte ein Kreuzzeichen auf meiner Stirn. »Ich lasse dich mit einem Engel zurück. Möge dir alles gut geraten, lieber Phiilip!«
     
    Es war November, ehe ich für den Winter nach Cornwall zurückging. An den Abenden stieg ich nach Braganza hinauf, saß mit Zofia zusammen, und wir tranken hausgemachte
żubrówka
, die ein polnischer Koch in einem Dorf der Gegend destilliert hatte. Zofia thronte gelassen in ihrem Lehnsessel, ihr Gesicht das übliche Potpourri von Gefühlen, und wir redeten vom Vorkriegspolen, von den Erinnerungen ihrer Mutter, von unserer Reise. Weihnachten stellten wir Päckchen mit Schokolade und Kleidung für Pani Wala, Pani Jadzia und den Uhrmacher zusammen, die sie nie erreichten.
    Unterdessen erwiesen Braganzas Bücherregale sich als ein Puzzle der polnischen Geschichte: Erinnerungen, Lyrik, Romane   – jeder Band fügte dem Kontext von Zofias erstem Leben ein kleines Teilchen hinzu. Polen zeigte sich in all seinen verschiedenen Gestalten: Polen als Spielball der Geschichte, Polen als Eroberer und als Beute, Polen, das stets überlebte; ein Land, wo das Leben der einzelnen Menschen allenfalls ein kleiner Zeitvertreib zwischen Kriegen zu sein schien, ein Spiel, das man spielte, während man auf den Zug wartete.
    »Polot«
, sagte Zofia. »Es läuft alles auf
polot
hinaus.«
    »Polot?«
    »Das läßt sich nicht übersetzen.
›Lot‹
heißt natürlich Flug, wie die polnische Fluggesellschaft, und hat etwas Schwereloses an sich. Aber es meint auch einen bestimmten Charme, etwas Siegesgewisses   – es hat etwas damit zu tun, daß man tapfer und verwegen ist, daß Ungemach einem nichts anzuhaben scheint.«
    »Und deine Mutter hatte
polot

    »O ja, das hatte sie.«
    In ihrem Buch
Lost in Translation
führt Eva Hoffman zwei Momente von
polot
an. Der erste war 1939, als die deutschen Panzerdivisionen nach Polen hineinrollten und die Polen die Kapitulation verweigerten und Kavallerieattacken gegen die Panzer ritten. Der zweite 1944, während des Warschauer Aufstands: Als die Nazis die letzten Widerstandsnester ausräumten, stellten die Polen Lautsprecher in den Straßen auf und spielten Chopin.
    Noch andere Ereignisse der polnischen Geschichte blieben mir im Gedächtnis haften. Etwa die Siegesbotschaft, die König Jan Sobieski dem Papst nach der Belagerung von Wien schickte: »Venimus, Vidimus, Deus Vicit.« Und das Erlebnis eines 1945 nach Warschau entsandten Beobachters der Alliierten: Der Ort sei voller Blumenstände, schrieb er   – kein Gebäude heil, überall Schutt, Brot für die meisten unerschwinglich, aber Blumen, Stände über Stände frisch gepflückter Wiesenblumen.
    Und der alte polnische Witz (angeblich der Lieblingswitz Paderewskis, 1919   Ministerpräsident des soeben befreiten

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