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Das Haus der Bronskis

Das Haus der Bronskis

Titel: Das Haus der Bronskis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philip Marsden
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nicht dein Großvater?«
    »Ja . . .« Doch sie schaute gar nicht auf den Obelisken, sondern auf die Stufen unterhalb, die zur Gruft hinunterführten.
    »Phiilip, Lieber, würdest du da hinuntergehen? Mit meinen Kunststoffhüften schaffe ich das vermutlich nicht.«
    Ich betrat die Treppe. An ihrem Fuß war eine zerbrochene Holztür, herabgefallenes Mauerwerk, dahinter Dunkelheit.
    »Siehst du etwas?« rief Zofia laut.
    »Nein. Es ist stockfinster!«
    Ich schob mich an der Tür vorbei und wartete einen Augenblick, bis meine Augen sich an das Dunkel gewöhnt hatten. Der Boden lag voll Schutt. Die Trümmerstücke wackelten unter meinen Füßen, während ich mich Schritt für Schritt zur Gruft vortastete.
    »Irgendwas zu sehen?« rief Zofia.
    »Nichts.«
    »Was hast du gesagt?«
    »Nichts, Zosia! Ich kann nichts sehen!«
    »Oh!«
    Ich wußte, sie war noch immer neugierig. Ich riß ein paar Seiten aus meinem Notizbuch, drehte sie zu Fidibussen und drang weiter in die Gruft vor. Die Gruft war geplündert worden; das war uns beim ersten Anblick klar gewesen. Zofia hatte das achselzuckend abgetan. Was kannst du erwarten? Daß die alte Welt in Trümmer gegangen war, in dem Moment, da sie sie verlassen hatte, akzeptierte sie inzwischen als zwangsläufig.
    Ich zündete das Papier an. Die Flamme sandte ein gelbes Licht in die Dunkelheit. Es flackerte an der niedrigen Decke und warf auf dem Boden hinter den Mauerbrocken tiefe Schatten. An einer Wand verliefen Lattenborde. Aber auch sie waren zerbrochen, und in der Ecke ragten ihre halbverbrannten Holzteile fächerförmig aus der Asche eines alten Feuers.
    »Phiilip!« Zofias Stimme klang jetzt weiter entfernt. »Kannst du etwas sehen?«
    »Ja!«
    »Was ist da?«
    »Warte . . .«
    »Irgendwelche Knochen?«
    Die Füße rutschten mir zwischen den Trümmerstücken ab. An einer Seite stand zwischen den Mauerbrocken ein Stapel von Kupfersärgen.
    »Särge, Zosia!«
    Während ich mich über den Schutt vortastete, konnte ich Einzelheiten erkennen, die Girlanden auf den mit Grünspan überzogenen Deckeln, die Paneele an den Seiten. Ich konnte auch die großen Löcher erkennen, die in die Kupferhüllen gesprengt worden waren.
    Zofias Stimme hallte in die Gruft hinunter: »Sind sie offen oder geschlossen?«
    »Offen.«
    »Wirf einen Blick hinein, ja?«
    Hinein?
Ich nahm ein zweites zusammengerolltes Papierstück, zündete es am ersten an und hielt es an eines der Löcher. Um hineinsehen zu können, mußte ich mit dem Kinn tief hinuntergehen, fast ans Metall, mußte die Flamme so nah wie möglich halten und seitwärts hineinspähen. Nach einigen Sekunden begannen die Formen im Inneren Gestalt anzunehmen. Knochen waren da, Rippen und Wirbelsäulen, und Fetzen von altem Stoff. Ich schaute in die anderen hinein; dasselbe.
    Als ich wieder an der Oberfläche war, sagte Zofia: »Was meinst du, Phiilip? Wir könnten doch ein paar von den Knochen mitnehmen. Und vielleicht in Cornwall wieder bestatten?«
    Ich malte mir aus, wie ich zurückging und sie herausklaubte; ich malte mir den sowjetischen Zoll aus; ich malte mir ein Fleckchen in einem idyllisch am Wasser gelegenen Friedhof in Cornwall aus, Tausende von Meilen entfernt, eine Ewigkeit weg von diesem zertretenen Grenzland. Ich schlug vor, sie hierzulassen.
    Zofia sah in die Baumkronen hinauf. Sie lächelte.»Weißt du, ich glaube, ich kann sie alle lachen hören, all die Geister meiner Ahnen   – sie schauen auf uns nieder und lachen!«

7.
    D ie Wochen
in Weißrußland gingen schnell vorbei. Sie hatten leuchtende Farben und eine seltsame Intensität und Dichte. In jeder Begegnung, jeder Geschichte schien die Ereignisfülle eines ganzen Lebens enthalten zu sein. Wenn Zofia unterwegs aus dem Autofenster sah, schüttelte sie oft den Kopf und sagte: »Ich kann es nicht glauben, Phiilip, ich kann es wirklich kaum glauben, daß ich hier bin.«
    Wir richteten es so ein, daß wir vor der Rückkehr nach Minsk noch einen Nachmittag in Mantuski verbringen konnten. Es war ein heißer Tag. Wir wanderten zum Philosophenwinkel hinunter und setzten uns in den Schatten der Birken. Zu unseren Füßen floß träge der Njemen dahin. Wir machten unsere Flasche Reisewodka auf, tranken und redeten von verschiedenen Dingen. Dann döste ich ein und entdeckte beim Aufwachen, daß Zofia ein Sonett geschrieben hatte. Ich bat sie, es mir zu übersetzen.
    Sie räusperte sich. »›Ich sitze am Njemen und schaue‹   – nein   – ›starre   – auf die Boote . . .

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