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Das Haus der Bronskis

Das Haus der Bronskis

Titel: Das Haus der Bronskis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philip Marsden
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Polen): Ein Professor an einem internationalen College läßt seine Studenten eine große Arbeit zu dem allgemeinen Thema »Der Elefant« schreiben. Die Arbeiten kommen mit folgenden Titeln zurück:
    Der Engländer: Der Elefant und wie man ihn jagt.
    Der Franzose: Das Liebesleben des Elefanten.
    Der Deutsche (nach längerer Forschungsarbeit): Einführung in vorbereitende Studien zu den gastronomischen Möglichkeiten des Elefanten.
    Der Russe (nach selbstquälerischem Paffen von Zigaretten): Der Elefant   – existiert er?
    Der Pole: Der Elefant und die Polnische Frage.
    Doch die Geschichte, die sich mir am deutlichsten eingeprägt hat, betrifft die Enthüllung des Denkmals für Adam Mickiewicz in Warschau. Wie Puschkin ist Mickiewicz ein Nationaldichter, und seine Statue sollte ein Nationaldenkmal sein.
    Der Zeitpunkt der Enthüllung war kurz nach dem Polnischen Aufstand von 1863, und der russische Gouverneur war nervös. Er ließ seine Artillerie auffahren, die dabei mehrere Häuserzeilen zum Einsturz brachte. Zehntausende von Polen hatten sich auf dem Platz versammelt. Henryk Sienkiewicz bestieg das Podium. Aus seiner Rocktasche zog er die Blätter mit der Rede, die zu halten ihm untersagt worden war. Er schwenkte die Blätter im Wind. Allgemeines Schweigen. Er enthüllte die Statue. Noch immer Schweigen. Die Russen starrten auf die Polen, und die Polen starrten auf die Russen. Kein Laut.
    Dann war aus der Mitte der Menge das Schluchzen einer Frau zu vernehmen. Dann ein weiteres Schluchzen, dann noch eins und noch eins und immer so fort, so daß alles, was man im Herzen Warschaus anläßlich der Enthüllung des Mickiewicz-Standbilds hören konnte, eine leise kollektive Klage war.
    Mickiewicz ist in Nowogródek geboren. Ganz in der Nähe des größten Platzes befindet sich das Dom Mickiewicza, eine Erinnerungsstätte für ihn. Zofia sagte, ihre Mutter sei 1915 jeden Sonntag nach der Messe dahin gegangen, und fand in ihren Aufzeichnungen diese Beschreibung:
     
    Das Mickiewiczhaus wurde von zwei Frauen bewohnt und betreut. Sonntags gaben sie große Essen, zu denen jeder kommen konnte. Die Frauen hatten nie einen müden Rubel, und jedesmal, wenn sie Geld brauchten,gingen sie zu Onkel Nicholas. Eine der Frauen schielte und war für ihre guten Werke und ihre häufigen Gebetsanfälle bekannt. Die andere hatte braune Löckchen und lag Pralinen essend und Romane lesend auf dem Sofa. Mit der Zeit schwoll sie auf über zwei Zentner an und tyrannisierte ihre Gefährtin . . .
     
    An einem Morgen in Nowogródek hatten Zofia und ich versucht, das Dom Mickiewicza zu besuchen. Es war kürzlich wiederhergerichtet worden, aber an jenem Morgen war es geschlossen, ringsum lagen umgestürzte Bäume. Ein nächtlicher Sturm hatte die ganze Stadt wegen umgestürzter Bäume unpassierbar gemacht. (Umgestürzte Bäume: Helena war in der Nacht des großen Sturms 1898 zur Welt gekommen, und es hatte Jahre gebraucht, die Bäume wegzuräumen.)
    Aus Braganza bekam ich wieder Helenas Aufzeichnungen, die Kladden, die maschinegeschriebenen losen Blätter, die Zeitungsausschnitte. Auf der Kiste, in der sie zu mir gelangten, stand »GEEST BANANAS«. An einem Januarmorgen   – einem Morgen, an dem heftige Windstöße in den Dachrinnen meines Hauses rumorten und ruhelose Wellen am Strand nagten   – griff ich in die Kiste und zog die erste dieser Kladden heraus. Die Ecken waren etwas abgestoßen, eine war angebissen, von einer Maus oder einem Hund. Der Einband war weinrot, und auf die Vorderseite hatte Zofia ein Etikett geklebt: »Recycling-Papier   – DIESES ETIKETT RETTET BÄUME.« Darunter hatte sie geschrieben: »Mamas Leben, Band I.«
    Innen wiederholte sich der Titel leicht abgewandelt in der Handschrift ihrer Mutter:
     
    Mein Leben   – Band I
    Wenn ich auf mein Leben zurückblicke, ist sein Kennzeichen hauptsächlich eine sonderbare Einsamkeit. Ich war ein einsames Kind   – ohne Freunde oder Gefährten   –, ein Kind, das irgendwie kein Eigenleben hatte, das sich kaum seines Daseins bewußt war, so sehr war es in Anspruch genommen vom Leben seiner Tiere und seiner Freunde, die alle Erwachsene waren   – Tanten, Panna Konstancja, alle Menschen in Platków und Mutter Immaculata.
    Ich wurde sehr spät erwachsen, war glücklich und umschwärmt in St. Petersburg, wurde vom Krieg von Ort zu Ort gehetzt, war einsam in der Ehe und glücklich schließlich einzig in Mantuski . . .
     
    Als ich Helenas Aufzeichnungen in jenem Winter

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