Das Haus der Bronskis
vorbereitete, war überwältigend stark.
Sie holte das Taschenmesser hervor und spülte es ab; das Heft war mit Perlmutt eingelegt und darin eingesetzt war ein abgegriffenes silbernes Brońskiwappen. Daß ein Broński zu Freundlichkeit imstande war, zu irgendeiner Art von Freundlichkeit, brachte sie ziemlich aus der Fassung.
Pan Rymszewiczs Jagdhorn ertönte, und sie fuhren weiter. Sie verließen die Ufer des Njemen und tauchten ein in dunkle Wälder, wo die Sonne schräg durch die Bäumefiel und die Luft voll Harzgeruch war. Inmitten der Bäume war das Geräusch des Konvois lauter, ein Geräusch von quietschenden Achsen, knallenden Zügeln und gedämpften Stimmen.
Bei Anbruch der Dämmerung hielten sie vor einem kleinen
dwór
. Ein älteres Paar stand auf der Vortreppe. Zwei Ridgebacks setzten mit ein paar Sprüngen auf sie zu, blieben aber stehen, als sie die volle Länge des Zuges erfaßten, und bellten.
An jenem Abend aß Helena in einem Speisesaal mit gewölbter Decke, der voller Familienporträts hing. Man gab ihr ein Zimmer im Dachgeschoß, wo der Mond sich über die Dielenbretter ergoß und sie tief schlief. Im Morgengrauen ertönte Pan Rymszewiczs Jagdhorn durch den Park, und der Konvoi zuckelte los, eine fahle Straße entlang, die am Waldrand verlief. Die Straße stieg an, und sie kamen aus den Bäumen heraus. Als sie über den höchsten Punkt eines niedrigen Hügelkamms fuhren, konnte Helena das Kreideband der Straße kilometerweit vor sich sehen, wie es über die Ebene mäanderte, die braunen Kleckse der Weiler mittendurch teilte, kurz in versteckte Täler eintauchte, dem Saum eines fernen Waldes folgte, bevor es sich in ihm verbarg.
Die Tage gingen ineinander über. Sie waren eine Woche unterwegs, zwei Wochen, einen Monat. Manchmal blieben sie ein paar Tage, ehe sie ihren Treck nach Osten fortsetzten. Der Wald verscheuchte alle Gedanken an Krieg. Helena fühlte sich glücklich, aufgekratzt. Jeder Tag war anders. Ihre Mutter setzte die schmerzhaften Verbote aus, die sie normalerweise einschränkten. Sie entspannte sich; der Konvoi erlegte ihnen seine eigene lose Disziplin auf, und wenn Helena in späteren Jahren an jene Wochen im Wald zurückdachte, die zuckenden Pferdeohren und denBogen der Kummethölzer vor sich sah und das Quietschen der Karren hörte, war ihr bewußt, daß sie nie zuvor und nie wieder irgendeiner Form von Freiheit so nah gewesen war wie hier.
Einmal verbrachten sie eine Nacht in einer Hütte auf dem Gipfel eines kleinen Hügels. Um sie herum war das Heerlager der Karren. Helena sah den Feuern zu, wie sie zu den Bäumen emporzüngelten. Sie verließ die Hütte und durchstreifte das Lager. Der Rauch wand sich zu dem schwungvollen großen Sternenbogen der Milchstraße hinauf. Sie kam sich vor wie Königin Jadwiga, die zwischen ihren Truppen umherwanderte.
Bei anderer Gelegenheit, Ende September, fuhren sie durch ein Dorf. Ein Ochsenkarren blockierte die Straße, und während sie darauf warteten, daß die Straße frei würde, sammelten sich die weißrussischen Dorfbewohner um die Wagen. Die Kinder waren barfuß, und den Männern saß der Dreck in den Gesichtsfalten. Pan Rymszewicz befahl ihnen, aus dem Weg zu gehen, doch sie schoben sich näher heran.
Er lenkte sein Gespann von der Straße herunter und ließ den Konvoi umkehren, um ihn zur Rückseite des Dorfs zu führen. Er schlug mit der Peitsche nach zwei Männern, die nach seinen Zügeln hechteten. Andere drängten aus der Menge vor. Einer umklammerte mit seinen Stummelfingern das Verdeck von Helenas
bryczka
, steckte den Kopf herein, und einen Augenblick lang starrte sie in seine Augen und fühlte seinen Atem auf ihrem Gesicht. Er brüllte etwas in einer sonderbaren Sprache und packte sie am Knöchel. Dann zogen die Pferde ruckartig an, er fiel vom Wagen, und schon holperten sie über den steinigen Wegrand auf die Felder.
Danach mied Pan Rymszewicz die Dörfer. Der Konvoiverließ sich auf den Wald und auf die Gastfreundschaft entlegener
dwóry
.
Manche Gutsbesitzer schenkten dem Vormarsch der Deutschen keinerlei Beachtung. Eines Nachmittags erreichte der Konvoi Wojopodorsk. Auf der Terrasse war der gesamte Haushalt beim Tee, man saß an runden Tischen oder auf den Stufen oder stand mit gewichtiger Miene hinter den Stühlen: alte Männer in seidenen Hausröcken bei der Unterhaltung, ein Junge mit seinem zahmen Kaninchen, eine Witwe mit einem Hündchen im Schoß, ein junges Mädchen mit einem Arm in der Schlinge, das mit
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