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Das Haus der Bronskis

Das Haus der Bronskis

Titel: Das Haus der Bronskis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philip Marsden
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nicht. Stumm kehrte sie ins Haus zurück. Sie warf ihren Hut aufs Bett. Was für eine Zeitverschwendung das alles war! Mit Tieren hatte man, wie sie schon immer vermutet hatte, sehr viel weniger Mühe.

9.
    I
m
Speisezimmer
von Druków war eine Wand mit einer antiken Szene bemalt: Diana auf der Jagd im aricinischen Hain. Allmorgendlich zum Frühstück wurde ein Samowar vor dieser Szene aufgestellt. Er erfüllte den Raum mit seltsamen Blubbergeräuschen, und wenn Panna Konstancja hereinkam, pflegte sie Helena zuzuzwinkern und ein Ohr an den Samowar zu legen: »
Niemiec idzie . . . Niemiec idzie . . .
Hörst du, Hela? Die Deutschen kommen!«
    Und die deutschen Truppen waren weiter im Vormarsch. Von Klepawicze waren alle Brońskis   – alle bis auf Adam   – bereits nach Petersburg geschickt worden. Lange Reihen von Fuhrwerken und Vieh zogen Tag für Tag durch Nowogródek. Nachrichten, Gerüchte, Gegengerüchte waren das einzige Gesprächsthema. Adam Broński war dabei, die großen Bottiche der Destillerie von Klepawicze zu leeren; den
spirytus
und das Korn sollten die Bauern bekommen. Adam selbst wollte warten und sich der russischen Armee auf ihrem Rückzug anschließen.
    Onkel Nicholas’ Haltung war eindeutig. Er schickte seine gesamten Wertgegenstände nach Osten. Er forderte Helenas Mutter auf, ihre Kinder auf diesen Zug mitzunehmen. Er selbst konnte sein Land nicht verlassen.
    Also standen eines frühen Septembertages Helena, ihre Mutter, ihr Bruder und ihre Schwester, Panna Konstancja und Tekla im Morgengrauen auf und versammelten sich auf der Auffahrt vor dem Haus. Onkel Nicholas stand auf der Freitreppe. Er trug einen langen Überzieherund Berberpantoffeln. Über jedem Kind machte er das Kreuzzeichen.
    Die Reihe der Fuhrwerke zog sich bis in die Allee hinein. Alle Drukówer Wertsachen   – alle Pelze und alles Goldgeschirr, die persischen Seidenteppiche, das sächsische Porzellan und die Kiewer Fayence, die Truhen über Truhen saffiangebundener Bücher   – gesellten sich zu Streu und Futter für die Reise nach Osten. Die Pferde waren unruhig. Onkel Nicholas’ Förster rannten den Zug auf und ab, riefen einander etwas zu, überprüften die Pferdegeschirre, fanden noch Platz für die allerletzten Kisten.
    Verantwortlich für diese seltsame Karawane und ihre aus
parobcy
bestehende Kutschermannschaft war Pan Rymszewicz, Onkel Nicholas’ Wildhüter. Er setzte ein Jagdhorn an die Lippen und stieß zweimal hinein: die ersten Wagen ruckten an.
    Sie fuhren die Allee hinunter. Zu ihrer Rechten hing Nebel über dem Fluß, die Auwiesen aber waren leer. Das Vieh war schon fort. Kurz nach der Kirche gelangten sie auf die Hauptstraße und fuhren nun gegen die Sonne. An der Straße erhob sich ein kleiner Hügel, über den der Weg nach Klepawicze führte. Auf seinem Gipfel, unterhalb eines Lärchenhorsts, wartete Adam Broński auf einer braunen Stute. Im Galopp kam er zu den Wagen herunter.
    Er zügelte sein Pferd, so daß es in Schritt fiel, und begrüßte Helenas Mutter, indem er kurz seinen Hut berührte. »
Dzień dobry
, Comtesse.«
    Einige seiner Karren, erklärte er, die mit dem Silber, seien auch diesen Morgen aufgebrochen. Könnten sie sich ihrem Zug anschließen? Sie würden am Njemen warten. Ein paar Minuten ritt er nebenher, dann trabte er zu Helena vor: »Guten Morgen, Hela.«
    »Guten Morgen.«
    Schweigen.
    »Panna Hela, Sie dürfen sich keine Sorgen machen.«
    »Ich habe keine Angst.«
    »Bestimmt nicht?«
    Helena schaute zu ihm hinüber und nickte. Er trug eine bäuerliche
czapka
, deren Schirm er tief in die Stirn gezogen hatte. Was für winzige freundliche Augen er hat, dachte sie.
    »Dobrze!«
rief er plötzlich, griff in seinen Mantel und holte ein Taschenmesser hervor, das er ihr in die Hand drückte. Er galoppierte schon wieder den Hügel hinauf, ehe sie die Möglichkeit hatte, ihm zu danken.
    Mittags erreichten sie den Njemen. Eine schmale Holzbrücke führte hinüber, und während sie auf die Fuhrwerke aus Klepawicze warteten, stieg Helena die bemooste Böschung hinunter.
    Es war, erinnerte sie sich, ein heißer, windstiller Tag. Sie starrte ins Wasser; auf seiner Oberfläche lagen die Tintenflecken vereinzelter Wolken. Helena zerbrach sie mit den Fingern. Sie rollte die Ärmel auf und steckte die Arme ins Wasser. Das Wasser war kalt und ölig, und sie spritzte es sich ins Gesicht. Nein, sie hatte keine Angst. Ganz im Gegenteil. Sie war erregt. Das vertraute Gefühl, daß sich etwas

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