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Das Haus der Bronskis

Das Haus der Bronskis

Titel: Das Haus der Bronskis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philip Marsden
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Schwung und glücklich. Dann fuhr er mit seinem Arm über die Oberkante der Banklehne und küßte Helena.
    Helena sprang auf. »Medeksa!«
    »Was ist?«
    »Hältst du mich für ein Dienstmädchen?«
    »Meine arme, arme Helena . . .«
    »Spar dir die ›arme Helena‹! Ich bin nicht eine von deinen Krankenschwestern.«
    »Du und dein Getue! Du bist auch nicht anders als deine Mutter!«
    Helena drehte sich um und ging, erschrocken, daß er recht hatte.
     
    Die Wochen vergingen, und die Bolschewisten wurden stärker. Die Straßen waren von Soldaten in grauen Uniformen verstopft, die Rinnsteine von ihren Sonnenblumenkernen. Sie waren paarweise unterwegs, gestikulierten wild, spähten durch die Fenster verlassener Villen. Mehrmals drängelten sie sich an Onkel Bischofs Butler vorbei und durchstreiften die Zimmer. Nachts verschwanden Freunde. Onkel Bischofs Leben war bedroht. Er stellte anden Kirchen Wachen auf, und Helenas Mutter rief die göttliche Vorsehung an.
    Und erneut griff die Vorsehung ein. Genau an dem Tag, an dem die Rote Garde die O’Breifnes hätte verhaften sollen, eroberten die Deutschen Minsk zurück. Gefangene wurden befreit, und eine Weile gab es Lebensmittel.
    Deutsche Offiziere begannen zum Tee zu Onkel Augustus zu kommen; er war auf einem Jesuitenseminar in der Nähe von Innsbruck gewesen und sprach gutes Hochdeutsch.
    Eines Tages berichteten sie, am Stadtrand von Minsk sei ein Lager, ein Flüchtlingslager voll vertriebener Polen. Helena bat, es sehen zu dürfen.
    »Das ist nichts für junge Damen«, sagte ein Major.
    »Das bedeutet, daß es sehenswert sein muß, Herr Major.«
    Am folgenden Nachmittag ritt Helena, flankiert vom Major und seinem Adjutanten, durch die Straßen von Minsk. Arbeiterkommandos säuberten die Straßen von Kriegsschutt; den Stadtrand säumten Wachtposten; Helena wurde klar, daß sie seit neun Monaten nicht aus Minsk herausgekommen war.
    Aber dann wurde der Himmel schwarz. Eine plötzliche Bö wirbelte den Staub von der menschenleeren Straße, und die Pferde scheuten; von der Ebene her grollte der Donner. Als es zu regnen anfing, sagte der Adjutant gegen den pfeifenden Wind: »Miss Helena, wir müssen umkehren!«
    Am nächsten Tag kam Panna Konstancja mit einem Brief für Helena herein. Der Brief enthielt kein Verspaar und duftete nicht nach Apfelblüten:
     
    Panna Hela,
    ich hatte geglaubt, daß die Liebe, die ich in mir bewahrt habe, sich kein falsches Ziel gesucht haben könne. Ich habe nichts von Ihnen gehört und sehe Sie nun mit deutschen Offizieren ausreiten. Sie und Ihre Familie sind keine wahren Polen. Der einzige anständige Mensch unter Ihnen ist Ihre Großmutter, die zu den Armen und Gefangenen geht und eine gute polnische Patriotin ist. Nähmen Sie sich doch sie zum Vorbild   ...
    Sagen Sie sich von den Deutschen los. Medeksa.
     
    Helena warf den Brief beiseite. Sie beantwortete ihn nicht. Statt dessen schrieb sie dem deutschen Major und äußerte noch einmal ihre Absicht, bei der ersten Gelegenheit das Lager aufzusuchen.
    Nach zwei Tagen stand er vor ihr. »Fräulein«, sagte er und verbeugte sich leicht aus der Hüfte.
    Sie ritten auf der Smolensker Straße aus Minsk hinaus. Nachts hatte es geregnet. Gewitterhitze drückte das Land nieder, und die Pferde waren bockig. Sie platschten durch die Pfützen; die Zügel hinterließen Schweißstreifen auf ihren Nacken. Der Major saß aufrecht in seinem Sattel, eine Hand auf dem Knauf.
    Auf der Straße war kaum Betrieb   – keine Fuhrwerke (der Krieg hatte alle Pferde abgezogen) und kein Vieh. Das Getreide sah sehr dürftig aus und war von Kletten und Disteln durchwuchert.
    Nach Petersburg hatte Helena sich eingebildet, den Anblick von Elend gewöhnt zu sein. Sie hatte die Armen dort gesehen und die Toten. Aber nichts hatte sie auf dieses Lager vorbereitet. Hunderte und Aberhunderte von Menschen kauerten im Schlamm. Kinder mit bloßen Beinen lagenneben ihnen. Frauen trugen ihre Babys um die Brust gebunden. Gebückte Gestalten schlurften umher, sammelten Wasser aus Pfützen. Krankheit hing über diesem Ort wie eine Gewitterwolke. Jeder hier war krank   – litt an Ruhr, an Typhus, war krank und verwitwet durch anderer Leute Krieg, anderer Leute Ideen, anderer Leute Revolution.
    Helena sagt, sie habe den starken Drang verspürt umzukehren, den Wunsch, sich gründlich die Hände zu säubern, am Fenster in der Sonne zu sitzen und Bücher zu lesen. Doch der Impuls zu bleiben war stärker. Sie konnte die Augen nicht

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