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Das Haus der Bronskis

Das Haus der Bronskis

Titel: Das Haus der Bronskis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philip Marsden
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an das Geländer. Sie las den Brief noch einmal; er ließ sie kalt. Sie konnte Medeksa nicht heiraten, jetzt nicht. Alles geschah zu schnell. Sie hatte ihn hinter sich gelassen.
     
    In Platków hatte Tante Anna fast die ganze Zeit Abendkleider an. Sie besaß keine Sommerkleider. Ihre Aufgabe war es, die Rosenstöcke wieder in Form zu bringen, und so wanderte sie, rauchend wie ein Schlot, in einem blauen Ballkleid mit Puffärmeln im Garten herum. Panna Konstancja, die für Tante Anna keine Zeit hatte, sagte, sie sehe aus wie eine überzählige Kurtisane.
    Niemand hatte irgend etwas anzuziehen. Helenas sämtliche Kleider waren verlorengegangen. Sie war aus Minsk geflohen mit nichts als ihrem anthrazitgrauen Trauerkleid.
    Einmal war Bezirkskommandeur von Sanden bei ihnen vorbeigekommen und hatte ihr einen Ballen sandfarbenes Leinen verehrt, wie man es zum Einwickeln von Brot und Käse verwendete. Panna Konstancja hatte es zugeschnitten, plissiert und einen Rock daraus gemacht, dazu eine lange lose Bluse mit Matrosenkragen. Der Dorfschuhmacher nähte ihr ein paar Leinenstiefel, die durch ein Dutzend Ösen mit einem Hanfseil geschnürt wurden. Als die deutschen Offiziere sie so sahen, tauften sie sie »Mädel im Hafersack«. Tante Anna murmelte etwas von »Aufzug für Warschauer Schankmädchen«.
    Freiherr von Sanden kam in dem Sommer regelmäßig nach Platków. Er überragte alle Männer, die Helena je gesehen hatte, um Haupteslänge; er war sicher über zwei Meter groß. Saß er auf seinem ebenso riesigen Braunen, streiften die Kastanienzweige sein Teutonenhaupt, wenn er aus der Allee herausritt. Wenn er die Damen begrüßte, brachte seine tiefe Verbeugung seinen Blick auf eine Höhe mit ihrem.
    Im Juli hatte von Sanden Helena einen jungen Fuchs geschenkt, den sie Lisek nannte. Er schlief, zu einem rostfarbenen Ball zusammengerollt, auf ihrem Bett. Helena gegenüber war er so anhänglich wie ein Hund. Aber außer ihr ließ er niemanden an sich heran. Wenn sich irgend jemand ihrem Zimmer näherte, sprang er aus dem Fenster.
    Doch als es Oktober wurde, hatte Lisek angefangen sich herumzutreiben. Er drangsalierte die Katzen und jagte die Gänse. Nachts schlich er um die Gehöfte. Als er anfing, Hühner und Jungkatzen zu töten, sagte Helenas Mutter, er müsse fort.
    Helena fuhr mit ihm und Panna Konstancja auf einem Karren tief in den Wald hinein und setzte ihn dort aus; sie scheuchten ihn weg, und er verdrückte sich. In der Nacht weinte Helena um ihn.
    Am nächsten Morgen zog sie ihre Vorhänge auf, und da stand er japsend vor dem Fenster. Sie versuchte ihn im Stall einzuschließen (er bellte die ganze Nacht). Sie legte ihn an eine lange Kette (er bellte wieder). Sie baute ihm ein Drahtgehege (er grub sich hinaus).
    Zwei Tage versteckte er sich unter der Veranda, in einem Kellerschacht. Helena verkündete, er wäre wieder in die Wildnis zurück, und brachte ihm heimlich Möhren und Buchweizen aus der Küche. Dann wurde eine von Ewas Gänsen tot aufgefunden.
    »Um Himmels willen«, sagte Tante Anna. »Erschießt das elende Biest!«
    Aber Helenas Mutter ergriff ihre Partei. Sie fuhren erneut in den Wald, in die
puszcza
hinein. Sie fuhren mehrere Stunden und hielten an einem kleinen See. Das Wasser war blaugrau, und ringsum stand das grüne Band des Waldes. Ihre Mutter blieb im Karren sitzen, während Helena Lisek nahm und ihn am Wasser absetzte. Er schlabberte ein bißchen, hob den Kopf und rannte dann ohne einen Blick zurück zwischen den Bäumen davon.
     
    Vom Dorf sickerten Gerüchte über Grausamkeiten durch. Im ersten Besatzungsjahr hatten die Deutschen vier Männer auf dem Dorfplatz erschossen, weil sie Proviant entwendet hatten. Ewa sagte, die Diebe seien deutsche Soldaten gewesen und die Dorfwohner seien unschuldig. Andere, die die Schande der Besetzung nicht ertragen konnten, waren im Wald untergetaucht und griffen gelegentlich Versorgungskonvois an. Zur Vergeltung waren mehrere Häuser niedergebrannt worden.
    Dann war da die Geschichte mit Maria. Helena erinnerte sich an Maria als ein strahlendes Mädchen mit rosigen Wangen und dunklem Zigeunerhaar, das immer Äpfel aß. Sie war in Platków Küchenmädchen gewesen. Im Sommer 1916 hatte sie angefangen, regelmäßig zum Wodalkasee hinunterzugehen, wo sich die deutschen Soldaten an den langen Abenden trafen. Einmal hatte Ewa sie geschlagen; sie hatte sie nachdrücklich gebeten, nicht zu gehen. Maria tat es trotzdem, und eines Tages fand man ihre Leiche irgendwo im

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