Das Haus der Bronskis
Frau. Sie waren Freunde von Warschauer Freunden. Sie hatten eine Firma gegründet, die erfolgreich Fertignahrung aus Frankreich und Deutschland importierte. Nein, sagten sie, es gebe fürdie polnische Minderheit in Vilnius keine Probleme, jedenfalls nicht, solange man gute Geschäfte mache.
Wir aßen in einem neuen Restaurant. Die Zahl der Kellner übertraf die der Gäste mindestens im Verhältnis zwei zu eins. Wir saßen auf ledergepolsterten Stahlrohrstühlen an Rauchglastischen. Der Geschäftsmann tupfte sich den Mund mit der Serviette ab, berührte Zofias Arm und sagte: »Nachher möchten wir eine kleine Fahrt mit Ihnen machen, wir würden Ihnen gern die Neubauten zeigen.«
Es dämmerte. Wir fuhren aus der Altstadt hinaus, an der Allee vorbei, wo Helena 1915 gewohnt und die Ankunft der Zuchtpferde erlebt hatte; vorbei an der Kirche, in der sie 1918 fromm gebetet hatte, das Chaos möge enden, und wo sie ihren Rosenkranz so fest umklammerte, daß er, wie sie sich erinnerte, tiefe rote Male in ihrer Hand hinterließ.
»Meine Mutter hat hier irgendwo gewohnt«, sagte Zofia zu dem Geschäftsmann. »1915 und dann wieder 1918.«
»Tatsächlich?« sagte er.
»Und ich bin in einem Krankenhaus irgendwo dort geboren . . .«
»Interessant!«
Aber er verlangsamte keineswegs das Tempo.
Zum Stadtrand hin begannen die Neubauten. Sie füllten den Horizont, standen reihenweise vor dem dunkler werdenden Himmel, die Fenster schwach erhellt, die starr angeordneten Fassaden trotzig und kalt, eine Reihe hinter der anderen, wie Heizkörper, die darauf warten, eingebaut zu werden.
Die Frau des Geschäftsmanns drehte sich zu uns um. Sie lächelte. »Schön, nicht?«
Ich nickte.
Und dann waren wir mittendrin. Überall waren Kräne,Stapel von Spannbetonblöcken, aufgerissener Boden. Das Grau der Gebäude verschmolz mit dem Grau des Himmels. Die Bauten schienen endlos. Wir fuhren um einen Komplex von Häuserblocks herum, und dann kam der nächste und wieder der nächste, bis ich mir vorstellte, wir wären in einer Art finster-modernistischem Labyrinth, wo der Minotaurus ein gelber Erdbagger, Theseus ein Bauaufseher und das Wollknäuel nichts anderes als das verlängerte Maßband eines Baumeisters wären.
»Wenn Sie bedenken«, sagte der Geschäftsmann, vor Freude grinsend, »vor fünf Jahren war das hier nur ein Dorf. Ein Dorf! Und sehen Sie jetzt!«
Wie um seine Bemerkung zu veranschaulichen, erreichten wir den Ausgang des Labyrinths, und plötzlich sank der Horizont wieder bis zu den Waldwipfeln herab. Und da, zwischen aufgetürmten Grassoden und Betonrohren, stand auf einem höher gelegenen trockenen Eiland unberührten Bodens, von Obstbäumen halb verborgen, ein Holzhaus. Ein Hund war an einer Wand angekettet, und in einem der Fenster leuchtete ein einzelnes Licht durch die Vorhänge.
20.
W eihnachten
1921, als der Schnee gegen die Ufer des Njemen wehte, mußte der Wiederaufbau in Mantuski unterbrochen werden. Adam kehrte nach Druków zurück. Er übernahm in der Dorfversammlung den Posten eines Richters. Im Frühjahr behielt er ihn bei und übertrug Bartek die Arbeiten in Mantuski.
Adam und Helena verbrachten weitere zwei Winter in der
oficyna
. Es waren strahlend helle, aber karge Jahre. Polen zog sich in dieser Zeit aus dem Sumpf von Krieg und Revolution und fand zu einer harmloseren Routine politischen Gezänks. In Druków nahm kaum jemand wahr, was außerhalb des Dorfs geschah.
In Mantuski kam man schubweise voran. Die Ziegelei war wieder in Betrieb, ebenso die Sägewerke. Aber manchmal lag die Baustelle wochenlang brach, wenn sie auf Zement warteten, auf einen Eimer, eine Schachtel Nägel, oder alle verzogen sich, um zu pflanzen oder zu pflügen und dem wichtigeren Geschäft, die eigene Versorgung zu sichern, nachzugehen.
Adam und Helena fügten sich in den langsamen Genesungsrhythmus des Landes. Nur eines beeinträchtigte den Erholungsprozeß, und das war Helenas Gesundheit. Im Frühjahr 1922 holte sie sich eine Rippenfellentzündung, im Sommer hatte sie eine Blutung in einem Lungenflügel. Adam vertraute Zofia Panna Konstancja und der Ziegenmilch an und brachte Helena in ein Sanatorium in Südpolen. Die Ärzte sagten, sie müsse ein halbes Jahr bleiben.
Das Rabka-Sanatorium war ein alter
dwór
mit hohen Decken und langen hallenden Korridoren. Über Helenas Bett hing ein Ölbild von Krakau, und die Läden am Schiebefenster waren kaputt. Die Tage waren trübselig und bedrückend, und Helena fühlte sich wie in
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