Das Haus der Bronskis
Adam. Der Arzt wird mich noch einmal untersuchen, aber er hat gesagt: »Ich kann Sie nicht zwingen zu bleiben.« Ich lege das so aus, daß ich nach Hause kann. Ich lasse Dich wissen, wann ich komme . . .
***
Als Adam schließlich begriff, daß sie nach Hause kommen wollte, reiste er zum Sanatorium. Er trug einen neuen Mantel und blankgeputzte schwarze Schuhe. Er sah schmaler aus. Sie saßen lange auf Helenas Bett und redeten zu viel und zu schnell. Dann gingen sie zum Arzt.
Der Arzt trug halbrunde Brillengläser. Er sah sie beide an, nahm dann die Brille ab. Er deutete auf zwei Korbstühle. »Bitte, nehmen Sie Platz . . . Pani Brońska, Ihre Lunge ist jetzt ausgeheilt. Ich würde Sie gern noch ein paar Wochen hierbehalten, aber wenn Sie darauf bestehen zu fahren, was kann ich dann tun?«
»Danke, Doktor.«
»Aber ich muß Sie warnen, daß es sehr riskant für Sie wäre, weitere Kinder zu bekommen.«
Daheim in Druków konsultierten sie Onkel Bischof. Der konsultierte Rom. Monate vergingen, und Helena kam, für sich selbst zumindest, zu dem Schluß, daß es gerechtfertigt war, Empfängnisverhütung zu praktizieren: weil sie dadurch gerettet und in den Stand gesetzt würde, Zofia eine Mutter zu sein.
Doch die Antwort aus Rom war unmißverständlich:»Der Soldat stirbt auf dem Schlachtfeld, die Frau im Kindbett.« Und binnen weniger Monate erwartete sie wieder ein Baby.
Dieser zweite Winter in der
oficyna
war kalt und düster und sehr lang. Helena lag tagelang unter ihrer Steppdecke. Sie sah die schwarzen Buchenzweige den Himmel streifen. Halbfertige Kissenbezüge stapelten sich neben ihr. Zofia, in Windeln, lag im Kinderbett in der Ecke, Haust zusammengerollt in seinem halbmondförmigen Körbchen vor dem Feuer; der Wind zerrte an den Dachrinnen.
Helena wartete. Sie wartete während der langen Vormittage und der gelben Dämmerungen; sie wurde träge vor lauter Warten; in ihren dunkleren Augenblicken, allein in der hölzernen Festung des Hauses, war sie überzeugt, daß ihr ganzes Leben so gewesen war: eine Verurteilung, ein Warten auf Erlösung.
Im März wurde ihr Erlösung gewährt. Sie brachte, ohne jegliche Komplikationen, einen Sohn zur Welt; eine Woche später stand eine dreijährige Stute, das Geschenk von Adams Vater, im Drukówer Hof.
Helenas Bericht über ihre frühen Jahre endet etwa um diese Zeit. Bilder der zwanziger und frühen dreißiger Jahre – der ersten zehn Jahre in Mantuski – steigen aus ihren Unterlagen von damals auf: aus Briefen, Geschichten, Tagebuchfetzen, all jenen Teilen und Stücken, die die Flucht überlebt haben. Bestimmte wichtige Ereignisse beschloß sie, im Detail aufzuschreiben, und eines davon war der Umzug nach Mantuski. Sie hatte dafür die Seiten eines kleinen, in grünes Leder gebundenen Notizbuchs gewählt. In Braganza hatte Zofia mir diese Passage einmal vorgelesen, wobei sie im Lesen übersetzte.
Ich rief sie an und fragte, ob wir sie noch einmal durchgehenkönnten. Zofia sagte, sie werde das Notizbuch ausgraben und mich zurückrufen.
Ich hörte nichts von ihr, weder am Nachmittag noch am Abend. Am Morgen rief sie an und sagte: »Phiilip, ich verstehe es einfach nicht. Ich habe gesucht und gesucht und gesucht!«
Ich sagte ihr, sie solle sich keine Sorgen machen.
»Nein, ich bin wie ein Hund mit einem Knochen, wenn ich in diesen Zustand gerate – ich muß immerzu darauf herumkauen.« Sie lachte in sich hinein. »Ich habe sogar gebetet, einmal zu Mama, einmal zum Heiligen Antonius! Ich habe fünf Pfund für die Armen versprochen, falls es wieder auftaucht. Bist du sicher, daß du es nicht hast?«
Ich sagte, ich würde nachsehen, aber ich wußte, daß ich es nicht hatte. Am nächsten Tag rief sie wieder an. »Gut gemacht!«
»Was?«
»Du hast doch das Buch gefunden, oder? Es lag hier, als ich zurückkam . . .«
Das Buch war auf dem Stuhl in ihrem Zimmer aufgetaucht. Während ihrer zweitägigen Suche hatte sie oft auf diesem Stuhl gesessen. Ob es nun Helena war, die das Buch dort hingelegt hatte, oder der Heilige Antonius, konnten wir nicht entscheiden. Aber wer auch immer, jedenfalls waren er oder sie eindeutig dafür, daß die Geschichte erzählt wurde. Und die Armen bekamen ihre fünf Pfund.
Es war der 8. November 1923, ein schneidend kalter Herbsttag. Zwei Ackerkarren und eine
bryczka
standen unter den Drukówer Linden bereit.
Auf dem ersten Wagen stapelten sich Matratzen, Schrankkoffer, Gefäße mit Eingemachtem und
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