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Das Haus der Bronskis

Das Haus der Bronskis

Titel: Das Haus der Bronskis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philip Marsden
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heraus, trug es zum Bienenkorb und legte es hinein. Dann ließ sie das Schilf fallen und floh.
    Aber die Bienen waren unter ihren Schleier geraten; sie wurde böse gestochen. Noch drei Tage danach konnte sie kaum sehen. Ihre Temperatur stieg auf 40   Grad. Nach einer Woche kam ein Arzt aus Nowogródek. Pani Rymszewicza führte ihn zur Bibliothek, wo Helena auf dem Sofa lag. Er untersuchte sie, wusch sich die Hände und sagte, sie werdesich bald erholt haben. Und er verkündete zudem, daß sie im dritten Monat schwanger war.
    »Großer Gott!« Pani Rymszewicza mußte sich setzen. »Und das nach all den Bienenstichen! Was für eine Art von Geschöpf werden Sie zur Welt bringen?«
    »Ein leidgewöhntes«, meinte Helena scherzend.
    Doch in Wahrheit hatte sie schreckliche Angst. Sie schickte eine Nachricht nach Mantuski, und zwei Morgen später stürmte Adam in ihr Zimmer, nachdem er die Nacht hindurch marschiert war. Sein Haar war strähnig, und als er seine
czapka
abnahm, standen einige Büschel kreuz und quer ab. »Ich will ein Dutzend Kinder!« rief er.
    »Nein, Adam Broński! Ich bin keine Maschine.« Aber auch sie lächelte.
    Adam breitete die Arme aus und stieß einen Juchzer aus.
     
    Zunächst war Helena häufig übel. Sie nahm ab, und ihre Wangenknochen traten spitz unter ihrer blassen Gesichtshaut hervor; sie wurde sehr schlechter Laune.
    Im Mai wurden in Druków die Kartoffeln ausgegraben; die schlammverkrusteten weißen Knollen waren das erste wirkliche Lebenszeichen des toten Landes. Am See blühte der Flieder auf, und Helena wurde etwas kräftiger; sie ging spazieren, so oft sie konnte, und ließ ihre Hände durch das hohe Gras schleifen.
    Um die gleiche Zeit war das Leben in Druków auf dem Weg zu seiner alten Vorkriegsnormalität. Onkel Nicholas kehrte von Warschau zurück. Das Hausmädchen Helenka und die Angorakatzen Kiki und Risetka kamen mit dem Zug aus Wilna; Pan Rymszewiczs Bruder, der 1916 in den russischen Schützengräben einen Arm verloren hatte, war wieder da. Rymszewicz selbst reiste Richtung Westen nach Posen und kehrte nach drei Wochen mit zwanzig Kühenund drei Pferden zurück. Onkel Nicholas schenkte Adam eines der Pferde und drei Kühe für Mantuski. Den restlichen Sommer über gab es in Druków Milch und Butter und den ersten Käse, und Helenas Wangen rundeten sich wieder; sie wurde kurzatmig und schwerfällig.
    Im September schließlich erschien, von Helenas Mutter geschickt, Panna Konstancja in einer zerbeulten alten
taczanka
mit zwei zehnpfündigen Schinken auf dem Sitz neben sich.
    Man kam überein, daß das Baby in Wilna geboren werden sollte, und Anfang Oktober machte Helena sich mit Adam und Haust dorthin auf. Sie wohnten in dem Haus in der Mała Pohulanka. Mit den ersten Frösten setzten Helenas Wehen ein, und Adam brachte sie in die Dr.-Rymsza-Klinik. Den ganzen Nachmittag hielten die Wehen an. Die Schmerzen entsetzten Adam. Bei Einbruch der Dämmerung, als er es nicht länger mitansehen konnte, stahl er sich fort, in die St. Jakobskirche, um dort zu beten. Er betete, betete und betete. Dann schlief er ein. Als er aufwachte, stellte er fest, daß man ihn eingeschlossen hatte. Die ganze Nacht saß er in der Kirche fest, und als er endlich erlöst wurde, um acht Uhr morgens, eilte er zum Krankenhaus in der sicheren Erwartung, Helena tot vorzufinden.
    Aber sie saß aufrecht im Bett. Sie hatte ein neuneinhalbpfündiges Baby bekommen, eine Tochter. Adam fiel neben dem Bett auf die Knie und weinte.
    Adams Vater und Helenas Mutter, ihre beiden noch lebenden Elternteile, waren die Paten. Das Mädchen wurde in Wilna getauft: Zofia Aleksandra.
    Als sie nach Druków zurückkamen, erwartete sie dort im Hof eine Kutsche. Aus dem Fenster schaute ein Gesicht, das an einer Möhre kaute. Es war das bärtige Gesichteiner Ziege. Der Kutscher händigte Helena einen Brief aus, der im Kopf das Brońskiwappen trug:
    »Eine Ziege zur Geburt Eurer Tochter Zofia Aleksandra. Stanisław Broński.«

Dritter Teil
Mantuski

19.
    A nfang Januar
1993 erhielt Zofia einen Brief von einer in Polen lebenden Kusine. Ob sie in diesem Sommer mit ihr für ein paar Wochen in einen litauischen Kurort ginge?
    Sie rief mich an, um meine Meinung zu hören. »Weißt du, Phiilip, was ich wirklich gern tun würde? Ich würde gern nach Wilna fahren, wo ich geboren bin. Soviel ich weiß, liegt dieser Kurort nur ungefähr hundertfünfzig Kilometer weiter westlich. Wenn ich einen Bus oder sonstwas fände . . .«
    Ich mußte in

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