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Das Haus der Bronskis

Das Haus der Bronskis

Titel: Das Haus der Bronskis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philip Marsden
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fand sie zu einer gemäßigteren Einschätzung:
     
    In diesen letzten Jahren habe ich gelernt, Mantuski zu führen. Ich habe gelernt, mit den Leuten umzugehen. Alles ist gut gelaufen, alles geht glatt und leicht. 1937   –   38 hat sich die Lage des Guts stetig verbessert, es ist zu Wohlstand gekommen. Ich bin jetzt glücklich, wenn ich hier allein bin, mehr als glücklich, umgeben von Freunden und Liebe. Gezähmte Menschenwesen, gezähmte Tiere.
     
    Und das ist der Eindruck, der bleibt. Trotz des »brodelnden Kessels«, trotz Mühsal und Enttäuschungen, trotz des Murrens in den Dörfern war Mantuski Helenas Leben. Das Land, das Haus, ihre Familie, das neue Polen gehörten zusammen, waren miteinander verbunden in einem dichten Zusammenwirken von Erneuerung und Wachstum, das sich während der zwanziger Jahre Bahn brach. Und erst gegen Ende und in ihren dunkleren Momenten gestand sie sich ein, daß sie alle von geborgter Zeit lebten.
     
    Zofia hat ein paar ganz deutliche Erinnerungen an die frühen Jahre in Mantuski.
    In der ersten bringt eine Gouvernante sie zu Bett. Die Gouvernante sagt zu ihr, sie müsse immer mit den Händen auf der Decke schlafen. Auf der Decke! So! Das verwirrte Zofia, und sie fragte, warum. Um Unreinlichkeit zu vermeiden! Aber es bedeutete doch nur, daß die Hände kalt wurden. Sie steckte sie unter die Decke, sobald die Gouvernante gegangen war. Das ergab alles sehr wenig Sinn.
    Dann erinnert sie sich an die Ankunft ihres ersten Ponys. Zofia werden gerade die Haare gewaschen. Sie sieht das Pony vom Fenster aus und rennt hinaus, mit klitschnassem Haar, aus dem das Wasser rinnt und tropft. Sie springt auf und kantert rund um den Rasen unter der Lärche. Das Pony ist sehr klein; es heißt Karmelek, was Karamelbonbon bedeutet.
    Die dritte Erinnerung ist die früheste. Sie liegt in einem Kinderwagen in einer Art Laube. Es ist Herbst, und die Blätter fallen; sie fallen auf den Kinderwagen, in den Schlafsack, rund um ihren Kopf   – papierene Kastanienblätter, die vom Himmel herabschweben.
    »Weißt du«, sagte sie zu mir, »wenn ich an Mantuski denke, habe ich dabei immer dieses Unterwassergefühl. Diese Blätter haben etwas von flachen Steinen, die in einem Fluß zu Boden sinken . . . Alles ist in Grün getaucht, die riesigen Linden, alles in langsamer Bewegung . . .«
    An noch eine Szene erinnert Zofia sich aus jenen frühen Jahren. Sie stand bei der Lärche vor dem Haus. Sie war neun oder zehn Jahre alt. Der Gärtnersohn kam über den Rasen auf sie zu. Er schlug mit einem Stock gegen den Lärchenstamm und sagte dann: »Weißt du, woher die kleinen Kinder kommen?
    »Ja«, sagte Zofia.
    »Woher denn?«
    »Die Störche«, antwortete sie. »Die Störche bringen sie in ihren Schnäbeln aus Afrika.«
    Der Gärtnersohn lachte. »Und das glaubst du?«
    Sie nickte lahm.
    »Das ist Quatsch!«
    »Woher denn dann?«
    »Willst du das wirklich wissen?«
    »Ja.«
    »Bestimmt?«
    »Ja.«
    Er beugte sich vor, um es ihr ins Ohr zu flüstern. Sie fühlte seine gewölbte Hand an ihrer Wange und seinen warmen Atem auf ihrer Haut.
    »Oi-oi!« rief sie aus.
    »Es stimmt! Ich habe es selber gesehen!«
    Zofia runzelte die Stirn. »Und was kostet es?«
    »Hundert Złoty für ein Mädchen, dreihundert für einen Jungen.«
    Sie konnte es sich nur schwer vorstellen. Was für ein unglaubliches Bild! Aber, schloß sie, nicht weniger plausibelals Störche. Sie verwünschte die Gouvernante, die ihr dieses Märchen eingeredet hatte, und glaubte noch Jahre danach, daß es wirklich eine alte Frau gab, die auf dem Markt in Iwje kleine Kinder verkaufte.

22.
    I m Juli
1925 bot man Adam das Richteramt in Iwje an. Es bedeutete, daß er den größten Teil der Woche nicht in Mantuski war, aber, wie er es in einem Brief an Helena ausdrückte: »Durch die Richtertätigkeit verdiene ich genug, um Mantuski wieder auf die Beine zu helfen. Fünfhundert Z ł oty im Monat ist ein gutes Gehalt!«
    Und von da an lebte Adam immer fern von Mantuski und kam nur an den Wochenenden und gelegentlich für ein paar Wochen nach Hause.
    Zofia besitzt ein Foto ihres Vaters aus etwa jener Zeit. Er sitzt in Hemdsärmeln und Krawatte zurückgeneigt im hohen Gras. Zofia lehnt an seinem Knie. Er hat kleine Augen und einen kräftigen Kopf, und seine Statur und sein offenes Gesicht lassen die Güte, die er ausstrahlt, übergroß erscheinen.
    Seine Briefe bestätigen diesen Eindruck. Aus ihnen spricht die offenbare Freude an allen Dingen. 1924 schrieb er,

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