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Das Haus der Bronskis

Das Haus der Bronskis

Titel: Das Haus der Bronskis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philip Marsden
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russische Braut heiraten zu können, hatte Aleksander Broński seinem katholischen Glauben abschwören müssen. Er wurde auf dem orthodoxen Friedhof beigesetzt.Von solch einem heidnischen Ort aus, betonten die gottesfürchtigeren Familienmitglieder, konnte ein Broński unmöglich in den Himmel gelangen.
    Laut Zofia war Aleksander Broński ein trauriges Gespenst. Er wanderte in den Fluren des neuen Mantuski, drückte Türklinken herunter, schlurfte durch die Diele, brachte die Treppenstufen zum Knarzen. Die Standuhr in der Diele ging während seiner Besuche immer nach   – die einzigen Momente, in denen sie versagte.
    Zofia erinnert sich, ihn an ihrem Bettende sitzen gesehen zu haben, in seinem Wolfspelzmantel, eine Kerze in der Hand. »Er sah so unglücklich aus!« Sie begann sich vor seinen Besuchen zu fürchten.
    »Wir müssen ihn loswerden«, sagte Helena zu Adam.
    »Helena!«
    »Nein, Adam. Er muß weg. Das wäre das Beste für ihn wie für die Kinder. Ich schreibe an Onkel Bischof.«
    Also kam Onkel Bischof von seinem Amtssitz angereist. Er hievte seinen stattlichen Korpus von Zimmer zu Zimmer, in den Händen Gebetbuch und Aspergill; in jedem Raum schlug er das Kreuzzeichen, murmelte ein Gebet und sprengte Weihwasser auf den Boden.
    Den ganzen Winter hindurch machte das Gespenst sich nicht mehr bemerkbar. Den folgenden auch nicht. Zofia schlief gut. Die Nächte waren ruhig. Und man nahm an, daß trotz aller weltlichen Sünden, trotz des nackt vorgetragenen Heiratsantrags, des Ehebruchs und des Abfalls von Rom sich im Himmel doch noch ein Winkel für den armen alten Onkel Alek und seinen Wolfspelzmantel gefunden hatte.
    Doch mehrere Jahre später bemerkte Helena eines Morgens, daß die Uhr fünfunddreißig Minuten nachging. In der folgenden Nacht sah sie draußen ein Licht, das sich zwischen den schneebedeckten Büschen bewegte. Siehörte das Knarren der Dielenbretter und dann einen Schrei aus Zofias Zimmer. Sie öffnete die Tür.
    »Er war da, Mama, an meinem Bett . . . Warum kann er nicht fort? Warum, Mama? Wenn er tot ist, warum kann er dann nicht in den Himmel?«
     
    In Mantuski trafen Zofia und ich eine Frau namens Pani Cichonia, die in einem neuen Haus gegenüber der Ruine des
dwór
wohnte. Sie hatte knallrote Backen und immer einen ängstlichen Gesichtsausdruck.
    »O ja, das Gespenst. Es wurde etwas von einem Gespenst gemunkelt, als wir hierherzogen. Und wissen Sie, Pani Zofia«, ihre Stimme wurde zu einem Flüstern, »im Winter ist manchmal ein Licht dort in den Bäumen, ein Licht, das da drüben hin und her schwingt . . .« Und sie nickte in Richtung des Gestrüpps, das auf den Trümmern von Mantuski gewachsen war.
    Zofia seufzte im Weggehen. »Er hat immer eine Windlaterne dabeigehabt, wenn ich ihn sah . . .«
    Also schien der arme alte Onkel Alek trotz allem, trotz Krieg, Niederbrennen des Hauses und Jahren des Kommunismus noch immer keinen Ausweg aus seinem ruhelosen Umherirren auf Erden gefunden zu haben.
     
    In Zofias Wohnzimmer in Braganza hängt ein Bild von Mantuski. Es ist die Kopie einer Fotografie und wurde nach dem Krieg in Auftrag gegeben. Es zeigt die langgestreckte, niedrige Fassade, den Turm mit den Fenstergauben, den von Geißblatt und Rosen umrankten hölzernen Vorbau. Das Bild hat ein wenig von der glatten Hübschheit einer Pralinenschachtel. Als es 1946 gemalt wurde, wußte keiner, daß das Haus schon zerstört war. Nun ist es alles, was davon übrig ist.
    Eines Nachmittags in Braganza, als Zofia unter diesem Bild saß, erzählte sie mir, sie habe eine Reihe von Notizen gefunden, die ihre Mutter vom Alltagsleben in Mantuski gemacht hatte. Sie holte aus den Tiefen eines Schranks einen Ordner mit maschinegeschriebenen Blättern. Die Blätter waren mit den Jahren vergilbt, und auf dem Umschlag stand »Der Gutsbetrieb in Mantuski«:
     
    Im März 1924 brachen Adam und Bartek von Mantuski nach Westpolen auf. Nach sechs Wochen kamen sie mit einem Dutzend junger Holländerkühe und einem Stier zurück, die sie vor sich hertrieben. Der Stier hatte ein schwarzes Mal auf dem Rücken, das genau der Form eines Sattels entsprach. Diese Rinder bildeten die Grundlage der Milchviehherde von Mantuski. 1939 lag der Bestand bei 120   Kühen und 60   Färsen. Die Milch wurde zu Käse verarbeitet, den Broński-Käsen, die jede Woche in Kisten verpackt und mit Pferdewagen nach Lida transportiert wurden und von dort in die Läden von Wilna und Warschau gelangten.
     
    Zu Mantuski gehörten zweitausend

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