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Das Haus der Bronskis

Das Haus der Bronskis

Titel: Das Haus der Bronskis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philip Marsden
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angeklagt.
    »War mein Baby, Herr Richter.«
    »Dein Baby? Du hast dein Baby umbringen wollen?«
    »Ja, Herr Richter. Ja, Euer Ehren.«
    Adam war so rasche Geständnisse nicht gewohnt. »Warum hast du dein Baby töten wollen, Tessa Stanicka?«
    »Ich hab’s nie haben wollen, Herr Richter. Ich wollte keins.«
    »Und was hast du mit ihm gemacht?«
    »Ich hab’s in der Nacht auf unsern Müllhaufen getan. Unter Kohlblätter. Aber am Morgen ist der Pfarrer, Vater Jerzy, zu meiner Mutter gekommen, weil sie so schrecklich krank war, und sein Pferd hat die Kohlblätter gefressen, und da drunter lag das kleine Baby noch ganz warm und lebendig. Wie Hochwürden in der Früh gekommen ist . . .«
    Der Schreiber hatte Mühe, ihrem Geständnis zu folgen, und hob die Hand, um eine kurze Unterbrechung herbeizuführen.
    »Du leugnest es also nicht?«
    »O nein, Herr Richter!«
    »Obwohl es ein schweres Verbrechen ist und streng bestraft wird?«
    »Das muß sein, Herr Richter, wenn einer ein Verbrechen begeht, so seh ich das.«
    Adam nickte. »Und wo ist das Kind jetzt?«
    »Im Waisenhaus, Euer Ehren Herr Richter.«
    »Und ist dir klar, daß du das Kind nicht sehen darfst?«
    »Wie ich gesagt hab, ich hab’s nie gewollt.«
    Adam sah sie über den Gerichtssaal hin an. Ihre Kaninchenaugen hielten blinzelnd seinem Blick stand. Er konnte nichts darin erkennen: weder Furcht noch Gewissensbisse, noch etwas Böses.
    »Tessa Stanicka, du hast nicht nur ein schweres Verbrechen gegen den Staat begangen, sondern auch eine Sünde vor Gott. Dir wurde ein Kind geschenkt, und du hast es weggeworfen wie ein verkümmertes Ferkel. Würdest du das wieder tun?«
    »Nein, Herr Richter.«
    »Wie können wir da sicher sein?«
    »Ich kriege kein Baby mehr, Herr Richter. Ich will keins.«
    »Nein   –« Ihre Logik brachte Adam einen Augenblick aus der Fassung. Er fuhr fort: »Ich kann jedoch keine Bosheit an dir entdecken und habe das Gefühl, daß du unter den rechten Umständen ein tugendhaftes Leben führen könntest. Hältst du das für möglich, Tessa?«
    »O ja, Herr Richter!«
    »Und tut dir leid, was du getan hast?«
    »O ja, Herr Richter!«
    Adam winkte den Polizeichef zu sich her und befragte ihn mit gedämpfter Stimme nach ihrer Familie.
    »Ihre Mutter hat sie verstoßen«, flüsterte dieser. »Wenn sie in ihr Dorf zurückgeht, lassen sie sie da verhungern.«
    Adam trommelte mit den Fingern auf den Eichentisch. Dann beugte er sich zu dem Mädchen vor. »Sag mal, Tessa, hast du schon mal in Stellung gearbeitet?«
    Als Adam ein paar Tage darauf mit Tessa nach Mantuski zurückkehrte und verkündete, sie werde bei ihnen als Kindermädchenarbeiten, reagierte Helena ungläubig. »Bei unseren eigenen Kindern, Adam? Wie hast du nur diese Mörderin einstellen können?«
    Doch Tessa fügte sich schnell in ihre neue Rolle. Mit der Zeit erwies sie sich als das beste von allen Kindermädchen Helenas. Andere kamen und gingen, ließen sich vom Altar verlocken oder der Stadt, aber Tessa zeigte für nichts Interesse außer für Vögel   – sie hielt sich Kernbeißer, Buchfinken, Stieglitze, die sich gleich Schülern vor ihrem Fenster scharten. Sie blieb in Mantuski, unwandelbar naiv, unwandelbar loyal, von den Kindern bedingungslos geliebt und umgeben von einem ständig anschwellenden Chor von Zeisiggesang.
    Helena liebte dieses Vogelgezwitscher. Es erinnerte sie an Petersburg, an Liki, ihren chinesischen Singvogel, an Tante Ziuta, den Heringsgeruch an verschneiten Straßenecken, an die Astrachanmützen im Gostinnyj Dwor; und an den Anblick ihres Vaters, wie er gebrechlich und lächelnd an der Moika stand, auf den Elfenbeinknauf seines Stocks gestützt, und ein Gedicht von Mickiewicz rezitierte.
     
    Gegen Ende der zwanziger Jahre, schreibt Helena, war Mantuski »wieder auf den Beinen«. Die Ernteerträge hatten stetig zugenommen, und die Käselaibe wurden inzwischen zum Verkauf nach Wilna, Warschau und Krakau versandt. Das Haus sah nicht mehr neu und spartanisch aus, sondern war voll Leben   – drei Kinder und die Hunde tobten darin herum; die Lärche vor dem Haus hatte die Höhe der Dachrinne erreicht.
    Und doch war es immer noch ein rauhes Leben, und Krankheiten waren häufig. Eines Herbsts, als Zofia acht oder neun war, hatte ihr Bruder plötzlich hohes Fieber,und als es gefallen war, fing er an, Blut zu husten. Nach drei Tagen kam der Arzt und sagte zu Helena, das Kind habe kaum Aussicht, den Winter zu überleben, es sei denn, es könne ihn im Süden

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