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Das Haus der Bronskis

Das Haus der Bronskis

Titel: Das Haus der Bronskis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philip Marsden
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wehenden Mähnen die Spur. Ihre Hufe trommelten unisono auf dem Schnee, und ihre Bewegungen spiegelten sich ineinander.
    »Ai-ai!« rief Adam. »Die beiden laufen zusammen, als wären sie elektrisch geladen!«
    Der Fluß führte an schneebedeckten Auwiesen vorbei. Eiswülste hingen über das Ufer, darunter hatten sich Hohlräume gebildet. Der Schlitten stürmte voran   – zwischen dunklen Feldern, zwischen Kieferngruppen, die den Sternenhimmel zackten, zwischen geistergrauen Birken, zwischen dem Weiß des Flusses und dem Schwarz des Waldes.
    Dann tat sich eine Lücke zwischen den Bäumen auf. Der gefrorene Njemen lief hindurch, und sie befanden sich auf einer weiten Ebene. Der Himmel zog sich bis auf einen schmalen Streifen am Horizont zurück. Irgendwo fern im Norden glühte orangefarben ein winziges Feuer, ein Farbedelstein in der farblosen Nacht.
    Helena holte Atem. Sie zog ruckartig an den Zügeln. Die Pferde wurden langsamer, liefen eine Weile im Trab weiter. Dann verengte sich die Ebene, und der Wald drängte an die Ufer heran. Sie zog wieder an den Zügeln, und der Schlitten hielt.
    Stille. Zwei Atemwölkchen hingen über dem Schlitten. Siwka warf den Kopf in den Nacken und wieherte, und Bäume und Schnee nahmen den Laut in sich auf.
    Adam sagte: »Wenn wir weiterfahren, sind wir morgen früh in Rußland!«
    »Ich weiß.«
    Adam zog die Wolldecke über Helenas Schultern. Lange Zeit lagen sie so da, atmeten flach und schwiegen, bis die Kälte zwischen ihnen aufstieg und sie den Schlitten wendeten und heimwärts fuhren.

21.
    I n einem
der ersten Winter   – es ist nicht klar, in welchem   – verzeichnet Helena die Rückkehr von Onkel Alek nach Mantuski. Sie und Adam saßen spätabends allein in ihrem neuen Wohnzimmer, als eine Reihe dumpfer Geräusche ertönte.
    »Wer ist das, Liebster?« fragte Helena, ohne von ihrer Lektüre aufzublicken.
    Adam hob stirnrunzelnd die Hand. Beide hörten sie, wie die Türen im Flur zur Küche eine nach der anderen geöffnet und wieder geschlossen wurden. Dann lächelte er. »Onkel Alek . . . Es ist Onkel Alek! Er ist wieder da!«
    Aleksander Broński war ein sehr entfernter Verwandter. Er war im ersten Teil des vergangenen Jahrhunderts geboren, wenige Jahre, nachdem Napoleon über den Njemen zurückgejagt worden war. Mit dem siegreichen Zaren als Namenspatron schlug er die Militärlaufbahn ein, zeichnete sich im Kaukasus aus, wo er wagemutige Spähtrupps die Nachschublinien entlangführte, und hielt im Krimkrieg ein uneinnehmbares Reduit, wo er und ein griechischer Pulverbursche als einzige überlebten. 1856 nahm er, hochdekoriert und mit Ruhegehalt, seinen Abschied und kaufte Mantuski.
    Aleksander war es, der das alte Haus gebaut hatte. Er riß einen bescheidenen
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ab, errichtete ihn neu und erwarb zusätzlichen landwirtschaftlichen Grund und Wald. Er beteiligte sich an den üblichen Kartenspielrunden, Jagden und Banketten und machte Stippvisiten in St. Petersburg,wo er in der Regimentsmesse Wodka trank und »die Zigeunermädchen aufsuchte«. Dann fiel sein Auge auf eine junge Russin, eine nicht allzu vermögende Erbin, die nördlich der Pripjetsümpfe zu Hause war.
    Einen ganzen Herbst lang ritt er von Mantuski aus zweimal im Monat dorthin und versuchte sie zu überreden, ihn zu heiraten.
    »General Broński«, sagte ihre Mutter zu ihm, »Sie sind ein Mann von Format. Aber Sie sind unpassend für meine Tochter. Sie sind Pole und Katholik und haben schon zu viele Stuten in Ihrem Stall gehabt.«
    Doch er blieb hartnäckig. Im Januar stürmte er bei Schneegestöber in einem knöchellangen Wolfspelzmantel ins Haus. Das Mädchen war allein. Er warf den Mantel ab und kniete vor ihr nieder. Unter dem Mantel trug er nichts.
    »In all meiner Blöße«, rief er, »bitte ich Sie, mich zu heiraten.«
    Nachdem das arme Mädchen ihn so gesehen hatte, fühlte sie sich moralisch verpflichtet, seinen Antrag anzunehmen. Sie zog nach Mantuski. Sie gebar Broński fünf Söhne und führte seinen Haushalt. Aber es dauerte nicht lange, bis der alte General wieder zu vagabundieren begann. Er blieb wochenlang in St. Petersburg und brachte in späteren Jahren eine seiner Geliebten als »Gouvernante« mit nach Mantuski. Um das Gerede der Diener zu unterbinden, mußte seine Ehefrau im selben Raum hinter einem Wandschirm schlafen.
    In den Augen der Mehrheit war es Onkel Aleks lasterhaftes Leben, das ihn dafür bestimmte, in Mantuski zu spuken. Aber es gab noch eine andere Theorie. Um seine

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