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Das Haus der Bronskis

Das Haus der Bronskis

Titel: Das Haus der Bronskis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philip Marsden
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während einer kurzen Reise Helenas nach Wilna:
     
    Mantuski, 15.   April.
    Helena, meine Liebste!
    Die allerletzten Tage waren wundervoll. Auf dem Njemen bricht das Eis auf, und man kann das Wasser darunter sprudeln sehen. Der Frühling kommt! Wir haben mit dem Einzäunen begonnen. Morgen fangen wir an, dreimal täglich zu melken . . . Die Kühe sind trächtig, die Pferde sind trächtig, und im Hühnerhaus quietschenein Dutzend kleiner Küken wie Wagenräder! Ich habe in den alten Schuppen nach Ofenkacheln gesucht, aber alles scheint kaputt oder verschwunden zu sein.
    Anfang der Woche hatten wir drei Tage Wolken und Regen mit erbsengroßen Hagelkörnern. Und heute   – ein herrlicher Apriltag. Nicht ein Wölkchen. Ich bin durch die Felder geritten. Ich habe das erste Kollern des Birkhahns gehört. Die Lerchen tirilieren laut im Himmelsblau. Ich fühle mich bester Laune, so gesund wie ein Fisch im Njemen, ein Auerhahn auf dem Ast, ein Wolf im Moor!
    Ich habe die Rosen abgeholt, und wir können sie sofort pflanzen   – es sind hervorragende Exemplare mit langen, dicken Wurzeln! . . . Wie gesund die Pferde jetzt aussehen   – wenn ich daran denke, wie sie nach dem Krieg beieinander waren   – uff! Ganz gewiß, Hela, die Dinge auf Erden bessern sich. Die Welt eilt dem Glückszustand entgegen . . .
     
    Adam hatte immer ein aufmerksames Auge für das, was sich in Warschau tat, und war stets begierig, über Staatsangelegenheiten zu reden. Wo Helena pragmatisch war, war er optimistisch; wo sie über die Korruption des Sejm schimpfte, blieb er überzeugt, mit der Zeit werde alles ins Lot kommen. »Zeit, Hela, mein Schatz. Du kannst ein Pferd nicht über Nacht zureiten. Polen ist nichts anderes als ein ungebärdiges junges Fohlen!«
    Dabei hatte er mit angesehen, wie sich das polnische Parlament seit den Wahlen von 1921 von Jahr zu Jahr stärker in ein Mosaik zankender Grüppchen aufsplitterte. Ein Minister löste den anderen ab, ein Kabinett das andere; und stets erwiesen sie sich als noch inkompetenter als ihre Vorgänger.
    Adam verfolgte das Kommen und Gehen, die Koalitionen, die geplatzten Koalitionen und die kraftlosen Versprechungen mit wachsender Enttäuschung. Vielleicht hatte Helena recht. Dies war nicht das Polen, für das er gekämpft hatte. Um sich herum, in den Dörfern, spürte er einen zunehmenden Groll unter den Weißrussen; seine Autorität bei Gericht stand bisweilen auf wackligen Füßen. Auf allen Seiten wurde das nationalistische Grummeln lauter.
    Im Mai 1926 hatte Marschall Piłsudski das Gezänk satt. Entschlossen, das ungebärdige junge Fohlen zu zügeln, tauchte er aus dem Ruhestand wieder auf, marschierte gegen den Sejm in Warschau und setzte ihn an die Luft. Tausend Menschen starben bei den Kämpfen. Obwohl der Marschall das Amt des Präsidenten ablehnte, gelang es dem Zentrum aufgrund seines Eingreifens, seine Autorität erneut zu behaupten. Die Politik der
sanacja
– der »Sanierung«   – wurde gegen die der
partyjnictwo
– der »Cliquenwirtschaft«   – in Gang gesetzt.
    In den Kresy kam der Sommer 1926 früh. Die Nachricht von Piłsudskis Putsch erreichte Mantuski mit den ersten Staubwolken, die von Holzfuhrwerken auf der Dorfstraße aufgewirbelt wurden. In der reglosen Luft ließ der Flieder schlaff die Blütenrispen hängen; die Uferschwalben flogen über dem Njemen hin und her.
    Es war heiß; windstill, heiß und stickig. Die Hunde lagen den ganzen Tag im Schatten, trotteten mit der wandernden Sonne von einem Schattenfleck zum nächsten. Funkelnde Harzklumpen blähten sich auf den Schalungsbrettern der Hütten; die Nächte waren schwül und drückend.
    Kurz nach St. Anton, an einem weiteren heißen Junimorgen, erschien Bartek mit schweißglänzendem Gesicht und ohne Hut im Eingang von Adams Büro in Iwje.
    »Ärger, Pan Adam.«
    »Was für Ärger, Bartek?«
    »Die Dorfleute, Pan Adam. Sie haben die Holzfuhrwerke blockiert. Sie sagen, die Bäume, die wir fällen, seien ihre. Sie sagen, Sie hätten sie ihnen gegeben.«
    »Um welche Bäume handelt es sich?«
    »Die oben hinter der Kreuzung. Zwischen dort und der Kirche.«
    »Aber ich habe ihnen den Wald oberhalb davon gegeben!«
    Adam fluchte. Er starrte Bartek einen Augenblick an. Dann schaute er weg, auf den Lichtstreifen, der in sein Büro fiel, auf den Stadtplatz dahinter. Er griff nach seinem Hut und ging mit Bartek hinaus.
    Am Dorfrand von Mantuski war die Sache bereits entschieden. Die Holzarbeiter, denen die Durchfahrt

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