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Das Haus der Bronskis

Das Haus der Bronskis

Titel: Das Haus der Bronskis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philip Marsden
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»aufs Herz gegangen«. Der Arzt hatte ihm gesagt, er brauche vollständige Ruhe.
    Helena war entsetzt. Sie stellte sich vor, er könne nicht mehr jagen oder Tennis spielen. Sie bat ihn inständig, sichhinzulegen. »Bitte, bitte, bitte«, schluchzte sie, und unter Anrufung aller Heiligen, auf die sie sich besinnen konnte, flehte sie ihn an, auf sich aufzupassen und in den Süden in das Heilbad Krynica zu fahren.
    Adam ergriff ihre Hände. »Erst jetzt,
kochana
, erkenne ich, daß du mich wirklich liebst!«
    »Du weißt, daß ich dich über alles liebe! Aber bitte, achte auf deine Gesundheit! Geh nach Krynica!«
    Am nächsten Tag bestellten sie ihm beim Schneider einen neuen Anzug für den Süden. Sie nahm ihm das Versprechen ab, täglich zu schreiben und zu tun, was die Ärzte sagten. Sie suchten den Spezialisten auf. Er hatte die jüngsten Röntgenaufnahmen gesehen und schüttelte den Kopf: Adam sei nicht reisefähig. Die Aufnahmen zeigten, daß sein Herz erschreckend vergrößert war.
    Er hütete das Bett in der Wohnung. Das Zimmer hatte einen Blick auf den Fluß. Helena las ihm vor, aus dem
Buch von San Michele
und aus
Edouard VII et son temps
. Sie spielten Halma und Schach. Ganz langsam besserte sich sein Zustand, und im März konnten sie wieder hinaus, in Pelze gewickelt fuhren sie mit einer Droschke durch den Wald. Aber Helena bemerkte jetzt in seinen Augen eine sonderbare Leere. Sie suchte erneut den Spezialisten auf, um mit ihm zu reden, diesmal allein.
    »Was ist los, Herr Professor?«
    Der Arzt rutschte unbehaglich in seinem Sessel hin und her. Sie wiederholte die Frage.
    Er nahm einen Bleistift auf und sagte: »Wenn der Tod Warschau ist, Madame Brońska, dann verläßt der Zug gerade Wilna.«
    Als sie wieder in die Wohnung kam, waren die Räume vom orangefarbenen Licht der Nachmittagssonne erfüllt. Helena sagte Adam nichts. Sie selbst weigerte sich zu begreifen,was der Arzt ihr mitgeteilt hatte, was sie alle wußten. Adam saß teilnahmslos in einem Sessel. Sie sprachen von Mantuski. Sie gingen jeden Winkel des Landes ab, inspizierten jedes Gebäude, jedes Waldstück; sie jagten Auerhähne, schwammen im Njemen, und sie wies sein stillschweigendes Eingeständnis zurück, daß er nichts von alledem wiedersehen würde.
    »Ich hinterlasse dir Mantuski«, sagte er.
    »Unsinn!« Helena ergriff seine Hand. »Du wirst auf meiner Beerdigung weinen und dann ganz schnell die Zboromirska heiraten!«
    Pani Zboromirska war eine junge Witwe, die in Adams Gegenwart immer sehr munter wurde. Helena ließ ihm Blumen schicken und unterschrieb mit »Zboromirska«. Sie tupfte Wasser auf die Karte, damit es aussah wie Tränen. Adam glaubte es; verschämt behauptete er, der Strauß sei von einer Tante.
    Das war in der Karwoche gewesen. Sein Zimmer stand voller Blumen. Die Kinder kamen zweimal täglich zu ihm; ihre Palmkätzchengebinde waren an die Wand geheftet. Ein Kranz von Zeitungen lag ums Bett. Spät in der Osternacht ging Helena noch einmal zu ihm, um ihm den Puls zu fühlen, und er schlug die Augen auf.
    »Helena, mein Liebes.«
    Sie schlief mit ihm, ein letztes Mal, voll Angst, es könne ihm schaden. Aber hinterher fiel er in tiefen Schlaf, und sie lauschte auf seine Atemzüge, wartete darauf, sie von seinen Lippen kommen zu hören, sammelte sie. Sein Gesicht war friedvoll wie eine Ikone.
    Sie stand behutsam auf, um ihn nicht zu wecken, und ging im Dunkeln zum Fenster. Weit unten glänzte der Fluß silbergrau im Mondschein.
    »Panta rhei«, murmelte sie. »Alles vergeht.«
    »Panta rhei«, wiederholte sie Wochen später, während sie in Mantuski durchs Fenster auf den Njemen blickte und Tränen in ihren Kaffee tropften. »Panta rhei . . .«
     
    Zofia war im Wilnaer Haus allein. Sie war zwölf. Sie saß auf ihrem Bett und machte Hausaufgaben. Plötzlich hörte sie ein Geräusch durch die Wand. Sie stürzte zu ihrem Vater ins Zimmer.
    »Er bekam keine Luft. Ich habe ihm die Hand gehalten und etwas zu ihm gesagt, aber er hörte nichts. Da war nur dieses Geräusch, das aus seiner Kehle kam. Ich habe den Arzt angerufen, aber dort hat niemand abgenommen. Er wohnte nur zwei Busstationen weiter, und so bin ich aus dem Haus gelaufen, dem Bus hinterher, der gerade abfahren wollte. Ich weiß noch, wie der Schaffner gesagt hat: ›Vorsichtig, Kleines! Bei dieser Rennerei kriegst du ja einen Herzklaps!‹ Der Arzt war da, und wir sind eilig zu uns nach Hause, aber natürlich war Papa schon tot.
    In seinem Zimmer standen Dutzende und

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