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Das Haus der Bronskis

Das Haus der Bronskis

Titel: Das Haus der Bronskis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philip Marsden
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habe Kinder und ein Haus in Polen   – aber noch Tage danach spürte sie einen steinschweren dicken Knoten in ihrer Brust.
    An einem Nachmittag wanderte sie in den Bergen. Sie ging an der letzten Seilbahnstation vorbei und weiter in den Wald hinein. Die Dämmerung nahte; kein Mensch weit und breit. Der Abend war erfüllt von ersten schalen Herbstgerüchen. Ein Hase schoß über den Weg, und sie hielt inne, um eine enge Schlucht hinunterzusehen, wo das V der Hänge sich zu einem weiten dunklen Meer von Baumwipfeln öffnete. Wie sehr sie Mantuski vermißte! Sie dachte an die Kinder, die Kuhställe, die Käserei, die Feuchtigkeit an den Flußufern und den letzten Herbst mit Adam vor zwei Jahren.
    Als sie wieder aufblickte, sah sie, daß der Weg hangaufwärts eine scharfe Biegung machte. Ein Stein rollte in Sprüngen durch das Unterholz. Sie bemerkte die Gestalt eines Mannes in einem flaschengrünen, langen Mantel, der rasch den Weg in ihre Richtung heruntermarschierte. Sie begegneten sich in der Kehre. Trotz der anbrechenden Dunkelheit konnte sie seinen kahlen Rundschädel erkennen. Sie wollte ihn schon grüßen   – da sah sie, als er um die Biegung kam, daß er eine schwarze Samtmaske trug, die nur Augen und Lippen frei ließ.
    Helena war starr vor Schock. Der Mann stand vor ihr. Sie sah, wie er mit beiden Händen in den Mantel fuhr. Er schlug ihn auf; sein runzlig-bleiches Geschlechtsteil war entblößt. Er keuchte irgend etwas in einem viehischen Deutsch   – und stürzte sich auf sie. Er stieß sie gegen einen Kiefernstamm, fummelte an ihrer Kleidung herum, preßte seine Hüften heftig an ihren Körper. Und die ganze Zeit,nur Zentimeter von ihrem Gesicht entfernt, starrte die unbewegte schwarze Maske sie lüstern an.
    Sie versuchte, sich ihm zu entwinden. Der grüne Mantelstoff rieb rauh an ihrer Wange. Er nahm eine Hand von ihrer Schulter, und sie duckte sich; der Mann strauchelte, und sie war frei.
    Sie rannte. Sie rannte den Berg hinunter, an der Seilbahnstation vorbei. Im Hotel ging sie auf ihr Zimmer und ließ sich ein Bad ein; sie hatte das Gefühl, ihre Haut wäre eine dicke Schmutzschicht, und sie verbrachte lange Zeit damit, sich im Wasser von oben bis unten abzuschrubben.
    Zwei Tage danach sah sie den flaschengrünen Mantel wieder, wie er einen der kopfsteingepflasterten Plätze überquerte. An seinem Arm führte er eine Tschechin, mit der Helena sich im Hotel unterhalten hatte. Auch ihr Mann war kürzlich gestorben.
    »Witwenschaft«, hatte sie Helena anvertraut, »ist etwas, was man nicht allzu lange ertragen möchte.«
     
    Helena war im Wald, unweit vom Dorf Mantuski, an einem Frühlingstag, an dem der Frost der ersten richtigen Wärme des Jahres gewichen war. Sie ging mit einer Frau aus dem Ort spazieren, und sie redeten über Hunde, Bücher und die unaufhörlichen Prüfungen des Lebens.
    Diese Frau war angeblich die uneheliche Tochter eines weißrussischen Generals. Sie war nach dem Krieg in Mantuski erschienen und hatte einen schweigsamen Waldarbeiter geheiratet. Wegen ihres plötzlichen Auftauchens hegten die Dorfbewohner einen leisen Argwohn gegen sie und nannten sie nie anders als »die Russin«. Doch hatte sie in der Unbedingtheit ihres Auftretens etwas von einer weisen Frau, und viele   – Helena eingeschlossen   – hatten gelernt, inKrisenzeiten ihrem Wort zu vertrauen. Unter einem Kopftuch trug sie eine Krone sandblonden Haars, und ihre Augen waren von einem auffallenden Zartbraun.
    Im selben Monat, in dem Adam in Wilna gestorben war, hatte man den schweigsamen Waldarbeiter der Russin aufrecht stehend in einem Graben in der Nähe des Njemen erfroren gefunden. Zwei Tage war er darin gewesen. Sein Arm ragte aus einer tiefen Schneewehe vor, zu einer Birkenwurzel gereckt, die ihm geholfen hätte freizukommen.
    »Nein«, sagte die Russin ruhig. »Ich werde nie wieder heiraten.«
    »Wie können Sie nie sagen?«
    Sie zuckte die Schultern.
    »Aber wir sind nicht dazu gedacht, allein zu leben!«
    »Das glaube ich nicht, Pani Helena. Ich halte mein Leid und meine Freude jetzt für zu groß, als daß ich sie mit irgendwem außer Gott teilen könnte.«
    »Und was fängt Gott damit an?«
    Die Russin warf Helena einen Blick zu. »Verlieren Sie nicht den Glauben. Verlieren Sie ihn nie.«
    Wie dieser Rat sie wütend machte! Sie hatte ihn von einem Dutzend Priestern gehört; sie hatte ihn von Onkel Bischof gehört. Sie wußte, daß sie recht hatten, und das machte sie nur noch rasender.
     
    Im

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