Das Haus der Bronskis
verbringen, in Frankreich oder Italien.
Da sie in Mantuski das Geld für eine solche Reise nicht hatten, redete Adam mit seinem Vater. Stanisław Broński hatte mit Erholungskuren wenig im Sinn.
»Kinder sind wie Gläser«, sagte er zu Adam. »Wenn eins hin ist, schafft man sich einfach ein neues an.«
Helenas Onkel Nicholas war verständnisvoller. Er gab ihnen das Geld, und Helena fuhr mit Tessa und den Kindern in eine kleine Villa in Juan-les-Pins. Mit Hilfe eines sehr netten belgischen Arztes wurde Zofias Bruder wieder gesund, und Anfang März reiste die Gesellschaft quer durch Europa zurück, alle Kinder von Kopf bis Fuß in nagelneue Leinenkleidung verpackt und mit unzähligen kleinen Sommersprossen auf den nußbraunen Nasen.
Die Krankheit hatte Helena mitgenommen. Sie hatte die französischen Krankenhäuser erlebt, die neuen Medikamente, die Operationssäle. Ostpolen erschien im Vergleich dazu mittelalterlich. Sie, der die eigene schwache Gesundheit ständig zu schaffen machte, erklärte nun Adam, sie werde eine Klinik für das Dorf einrichten.
»Aber Hela, du verstehst doch gar nichts davon!«
Sie sagte ihm, daß sie in Wilna früher einmal Krankenpflege gelernt hatte. Seine Miene blieb skeptisch.
Aber für die meisten Fälle erwiesen sich ihre Kenntnisse als ausreichend. Die Leiden, mit denen die Leute aus dem Dorf zu Helena kamen, waren einfacher Natur. Gravierende Dinge kurierten sie mit Gebeten oder den Wundermitteln herumziehender Quacksalber.
Zweimal pro Woche öffnete sie die Tür auf der Seite desHauses, und die Dorfleute betraten ein kleines Hinterzimmer, in dem sie das Schild MANTUSKI KLINIKA angebracht hatte. Zu Anfang kamen sie hauptsächlich aus Neugier, musterten die Gefäße in den Glasschränken, die nierenförmigen Becken, die Stahlscheren und Helena in ihrem weißen Kittel. Die Frauen vom Dorf blieben ihren Fähigkeiten gegenüber auf der Hut, doch die Männer waren bald ganz versessen auf das Rascheln von Helenas gestärktem Kittel und darauf, ihre sauber gebürsteten Hände auf ihrer Haut zu spüren.
Sie hatte einen kleinen Fundus an Heilmitteln, der der geringen Bandbreite an Beschwerden entsprach. Sie erfand einen Gerstenbreiumschlag für Hexenschuß, einen Zitronen-Honig-Balsam für Erkältungen und Halsweh. Sie tupfte Jod auf Brandwunden. Für Fleischwunden trieb sie in der Molkerei ungesalzene frische Butter auf und machte unter Zusatz von Kräutern einen Verband, den sie aus zerzupfter Leinwand herstellte. Als schweißtreibendes Mittel verwendete sie einen Extrakt aus getrockneten Himbeeren. Das »Dreitagesfieber«, ein in Mantuski verbreitetes Leiden, behandelte sie mit regelmäßigen Gaben von Chinin. Ansinnen, das »schwarze Blut« von Blutegeln absaugen zu lassen, lehnte sie rundweg ab und hielt einen Vorrat an Placebos bereit – Kräutersalben und Kräutertees. Wer ihr die Zeit stahl, dem kam sie ziemlich unangenehm, und besonders barsch war sie zu einer gewissen Pani Kasia, die ihr allmonatlich ihre Katze brachte, um sie von ihrer »schrecklichen Niedergeschlagenheit« kurieren zu lassen.
23.
V om Jahresbeginn
1933 an haben sich Helenas Tagebücher mit ihren täglichen Einträgen erhalten. Sie umfassen, mit Unterbrechungen, den Zeitraum bis zum Kriegsausbruch.
1933 scheint ein anstrengendes Jahr gewesen zu sein, eine Art Jo-Jo-Jahr, ein Wechselbad der Stimmungen und Schicksalsschläge. Der Frühling hatte spät eingesetzt. Man war im Verzug mit dem Pflanzen. Mai und Juni waren sehr naß. Dann kam der Juli, wolkenlos, warm und ideal zum Mähen. Offene Kähne fuhren heubeladen über den Njemen. Die Scheunentore wurden weit aufgemacht; lange Reihen von Leiterwagen rollten quietschend durchs Dorf auf sie zu. Es war eine Rekordernte.
Am 11. Juli notierte Helena:
Was für leuchtende Tage! Die ganze Welt platzt einfach vor Aktivität, silbrige Sensen schimmern in den Wiesen, die Kirschen sind besser denn je. Das Haus ist voll Wärme und Sonne . . . Adam ist zum Wochenende hier, und ich bin irrsinnig irrsinnig glücklich, wenn er da ist. Er ist so gut, so loyal, so rücksichtsvoll und so unglaublich freundlich. Ich liebe ihn mit jedem Jahr mehr. Wir haben immer mehr gemeinsam. Ich vermisse ihn so schrecklich unter der Woche . . .
Sonntagmittags aßen Adam und Helena an einem großen Tisch am Fluß. Sie grillten Brachsen oder einen Njemenhecht, und manchmal waren sie bis zu vierzehnt um diesenTisch versammelt – die drei Kinder, Vettern und Kusinen auf
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