Das Haus der Bronskis
Besuch, Onkel Nicholas, Helenas alternde Mutter, Panna Konstancja aus Wilna, die neue Erzieherin aus Grodno.
Eine Weile war alles, wie es sein sollte: die Milcherträge waren hoch, der Käse hatte seinen charakteristischen Vorkriegsgeschmack zurückgewonnen, und Buchweizen und Roggen, frei von Quecke, wehten seidig in der Julibrise.
Dann passierten mehrere Dinge. Zuerst entdeckte man, daß die Erzieherin aus Grodno nachts mit einem der verheirateten
parobcy
schwimmen ging. Als Helena ihre sofortige Abreise verlangte, schloß sie sich in ihr Zimmer ein. Fast zwei Tage lang weigerte sie sich herauszukommen. Bartek mußte ihre Tür aushebeln, und das letzte, was man von der Erzieherin aus Grodno sah, war, daß sie in ihrem Bett liegend auf einem Karren zum Bahnhof verfrachtet wurde.
Im August erkrankte Smok, Helenas Lieblingszuchtstier. Sie wachte die ganze Nacht bei ihm und bestrich seine schwitzenden Flanken mit einer Seifen-Molke-Lösung.
Im September dann sah sie vier ihr unbekannte Fuhrwerke in den Hof von Mantuski einfahren. Ein junger jüdischer Kaufmann aus Iwje sprang herunter und sagte, er sei gekommen, um das Heu abzuholen. Adam hatte es für jemanden, den er kaum kannte, als Sicherheit für ein Darlehen angeboten.
Helena war wütend. Sie schickte die Kaufleute mit einem Brief zu Adam. Sie schrieb ihm, sie würde ihnen nur zwei Fuhren Heu geben. Den Rest solle er mit seinem eigenen Geld ausgleichen; sollten ihre Kühe diesen Winter Hunger leiden, fügte sie hinzu, werde sie sich von ihm scheiden lassen.
Gegen Ende des Sommers machte Helena folgenden Eintrag:
Endloser Ärger mit diesem Anwesen! Smok, mein geliebter Rotbunter, liegt im Sterben. Ein anderer Stier, Paw, ist bereits tot. Die Kühe sind fortwährend krank. Adam schneit dann und wann herein, haßt es, mit Problemen behelligt zu werden, gibt unsinnige Anweisungen, läßt die
parobcy
die Pferde einsetzen, wie sie gerade Lust haben, hinterläßt mir das absolute Chaos und verschwindet. Es schüttet. Stefania, das Waschmädchen, ist krank. Wir haben keine saubere Wäsche mehr. Es ist genug, um einen zum Heulen oder um den Verstand zu bringen . . .
Gegen Weihnachten 1933, als der Winter langsam sein Netz über das Land breitete, hatte der Betrieb von Mantuski sich beruhigt. Es war klar, daß genügend Heu da war; die Kühe würden nicht verhungern; Helena dachte nicht mehr an Scheidung:
Das Leben hier ist friedlich, geruhsam, gemütlich. Adam ist aus Iwje zurück und füllt das Haus wieder mit seiner guten Laune. Wir sind liebevoll zueinander. Er spielt Spiele mit den Kindern. Wäre er doch nur häufiger hier! Letzte Nacht saßen wir auf und betrachteten den Mond und redeten. Welch ein Glück habe ich, eine solche Liebe zu besitzen! Auf dem Fluß hat das Schlittschuhlaufen angefangen und das Skifahren. Ich finde Sport etwas Herrliches . . .
Am Weihnachtstag wurden Adam wie Zofia krank. Zofia hatte es sehr viel schlimmer erwischt. Binnen zwei Tagenstieg ihr Fieber auf fast 40 Grad, und sie phantasierte. Der Arzt sagte, es sei Scharlach.
»Aber sie hat Scharlach gehabt!« protestierte Helena.
»Sie hat es noch mal«, sagte er. »Das kommt vor.«
Zwei Tage lang saß Helena an Zofias Bett, während diese sich herumwarf und unsinniges Zeug redete und schwitzte. Am dritten Tag sank ihr Fieber etwas, und die ganze Familie begab sich nach Wilna. Adams Krankheit, lediglich eine Erkältung, war schnell vorbei.
Zu dieser Zeit gingen alle Kinder in Wilna zur Schule. Adam war zum Direktor einer Bank in der Stadt ernannt worden, und die Familie hatte für die Schulwochen eine Wohnung gemietet, von der aus man einen Blick auf die Wilija hatte.
Die Wilija war den ganzen Januar zugefroren, und auf dem Gelände unterhalb des Dreikreuzhügels wurde Schlittschuh gelaufen. An einem Sonntag Anfang Februar waren sie alle auf dem Heimweg von der Messe. Der Schnee im Park reflektierte das strahlende Sonnenlicht und erhellte ihre Gesichter. Zofia und ihre Brüder gingen hinter ihren Eltern her. Plötzlich mußte Adam innehalten. Er schleppte sich zu einer Bank, setzte sich und blickte Helena wortlos an. Nach ein oder zwei Minuten sagte er, er könne jetzt weitergehen, aber am nächsten Tag drängte Helena ihn, einen Arzt aufzusuchen.
Um vier Uhr nachmittags kehrte er in die Wohnung zurück. Er ließ sich schwer in einen Sessel in Helenas Ankleidezimmer fallen. Wie sich herausgestellt hatte, hatte er ebenfalls Scharlach gehabt und das war ihm
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