Das Haus der Bronskis
– einem orthodoxen Weißrussen – eine selbstgebastelte Bombe gefunden. Er hatte geplant, so gestand er, den
dwór
in die Luft zu jagen. Er wurde von den polnischen Behörden seines Amts enthoben.
In jenem Sommer wurde Helena mehr und mehr dessen gewahr, was sie »die bedrohliche Atmosphäre« nannte. An einem heißen Julimorgen führte sie gerade die Hunde aus, als der Fährmann Gregory die Auffahrt heraufgelaufen kam. Er blieb vor ihr stehen und zog die Mütze.
»Was ist, Gregory?«
»
Proszę
Pani . . .« Er war noch immer außer Atem. »Zwei Russen . . . am Fluß . . .«
»Russen? Soldaten?«
»Sehn aus wie Stadtleute . . . in Mantel und so.«
»Was wollen sie denn, Gregory?«
»Wollen?« Gregory blinzelte. »Gar nichts wollen sie.«
»Ich gehe hin und rede mit ihnen.«
»Das geht nicht!«
»Warum nicht?«
»Sie hängen im Schilf fest, und sie haben lauter Schußlöcher.«
»Tot?«
Er nickte und verlagerte dabei sein Gewicht vom einen Fuß auf den anderen.
Jeder hatte von den Gerüchten gehört, den russischen Gerüchten, den bolschewistischen Gerüchten. Die Grenzedräute im Osten wie der stacheldrahtbewehrte Saum einer verbotenen Welt. Und doch war für manche alles bloß polnische Propaganda, und sie sehnten den Tag herbei, an dem der Stacheldraht vorwärts rollen, Polen zermalmen und sie alle von ihrem gräßlichen feudalen Joch erlösen würde.
Es fiel diesen Leuten schwer zu begreifen, warum so viele zu fliehen versuchten; warum die wenigen Russen, die es über die Grenze schafften, von Hungersnöten, Säuberungen und der schrecklichen Stille erzählten, die über den Ebenen hing; und wieso die, die es nicht schafften, mit stieren Augen und mit von Kugeln durchlöcherten Mänteln den Njemen hinuntertrieben.
»Irgendwo hier«, Zofia stand am Ende der Auffahrt von Mantuski, »bekam ich immer dieses merkwürdige Gefühl. Als wäre irgend etwas im Anzug. Immer hier beim Kreuz.«
Wir suchten gründlich, fanden aber keine Spur von irgendeinem Kreuz.
1928 hatten Adam und Bartek diesen Platz ausgesucht, um ein Wegkreuz zu errichten. So etwas war üblicher Bestandteil des Dorflebens, und diese Stelle war immer ein Treffpunkt gewesen, ein Ort zum Herumtrödeln und für Wanderer und Lumpensammler ein Ort zum Rasten und zum Austausch von Neuigkeiten mit den Dorfleuten. Im ersten Krieg hatte man hier drei Partisanen erhängt, darunter einen der Gärtner von Mantuski, Michał.
Das Kreuz wurde als Michałs Kreuz bekannt. Adam und Bartek hatten es aus zwei schweren Eichenbalken gezimmert. Die Balken stammten von einem alten Baum, der gefällt werden mußte, um Platz für die Kuhställe von Mantuski zu schaffen.
»Es war an die zwei Meter hoch«, erläuterte Zofia und hob einen Arm über Kopfhöhe. »Dunkel gebeiztes Holz,meistens mit verwelkten Blumen am Fuß. Der Himmel weiß, was daraus geworden ist.«
Wir fragten einen alten Mann, der auf einem Fahrrad die Straße entlangfuhr. Er schien zunächst verwirrt.
»Krzyż . . . krzyż . . .«
Er kaute auf seinem Zahnfleisch und runzelte die Stirn. »
Krzyż
. . . Ja natürlich! Das Kolchosenkomitee hat es abgebaut und in Balken und Nägel zerlegt!«
Er gaffte Zofia an, als wäre sie ein exotisches Tier, und spielte mit seiner
czapka
. Dann beugte er sich vor und tippte auf ihren Unterarm: »Aber ich sage Ihnen, mit diesen Balken war was nicht richtig. Sie haben eine Dreschmaschine daraus gemacht, und die hat einem Mann den Arm gebrochen. Nein, mit der war was nicht richtig, mit der Maschine . . .«
Sie fragte, was damit geschehen sei.
»Verbrannt!« Dem Alten entfuhr ein hoher glucksender Lacher, er warf die Arme in die Luft und radelte in Richtung Fluß davon.
Während der letzten Sommer in Mantuski richtete Helena es so ein, daß diverse junge Engländer zu ihnen kamen und den Kindern Englischunterricht gaben.
Tony war der erste, ein Student, ein ruhiger, methodischer Lehrer, den sie alle sofort mochten. Er machte sie mit den heiklen Grundlagen der englischen Aussprache vertraut, dem langen A, dem gelispelten Th. Er ließ sie
Little Lord Fauntleroy
lesen, der in Zofias Augen ein »wonniger kleiner Mann« war.
Zofia neckte Tony gnadenlos. Er konnte kein Wort Polnisch. Einmal hatte sie ihn in einer Hotelbar in Lida der Kellnerin sein leeres Bierglas hinhalten sehen und sagen hören: »Same again, please, Miss!«
Seitdem psalmodierte Zofia bei jeder Gelegenheit: »Semegen pliis miis!«
Tony war mit ihnen täglich ein paar Stunden
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