Das Haus der Feuerfrau (German Edition)
– stand am Horizont. Um uns her ersteckte sich eine wüste Gegend, in der nur Yucca-Pflanzen gediehen, und überall zwischen diesen Pflanzen erhoben sich kuppelüberkrönte Schlote aus schwarzem Gestein, die Eingänge in die Unterwelt der Morlocks. Ferne Geräusche drangen aus ihnen hervor, rhythmische Geräusche, ein Trommeln, das uns hinunterrief. Wir waren zu einem Fest geladen, das spürten wir alle, einem Fest, das dort unten stattfand, und bei allem Widerwillen gegen die finsteren Höhlen würde uns nichts anderes überbleiben, als in diese Schlünde hinunterzusteigen.
Dass die Gesetze der bekannten Welt aufgehoben waren, spürte ich am deutlichsten, als ich sah, wie Alec – der es sich nicht nehmen ließ, der Erste zu sein – ein Bein über die Kuppel schwang und sich langsam in den Schlot hinunterließ. Im realen Leben hätte er das niemals geschafft. Aber hier, in dieser Welt unter der sterbenden roten Riesensonne, war seine Behinderung aufgehoben, er konnte klettern und hätte springen können, wenn er gewollt hätte. Robert und ich folgten ihm. Ich hatte auch im wirklichen Leben einige Erfahrung im Höhlenklettern gesammelt und empfand keine Angst, als ich mich über die sanft gerundete Kuppel schwang und in den Schlot in ihrer Mitte in ein Dunkel hinunterglitt, das mit jeder Handbreit tiefer wurde. Ich fühlte Stufen unter den nackten Füßen, roh gehauene, aber sichere Stufen, fühlte Griffe in der rauen Felsenwand. Wohin diese Höhlenschlünde auch führen mochte, sie waren zweifellos von zivilisierten Wesen angelegt worden. Natürlich musste ich daran denken, dass in H.G.^Wells Erzählung in der Tiefe unter diesen Kuppeln die Morlocks gehaust hatten, glutäugige, albinoide Wesen, die alle von der Oberfläche Kommenden als ihre Nahrung betrachteten. Aber das Eine wusste ich: Was immer uns bestimmt war, wir würden sicher nicht als Fleisch in den Suppentöpfen einer subterranen Rasse landen. Ich musste so lachen über den Gedanken, dass ich beinahe die Haltegriffe losgelassen hätte.
Während dieses Abstiegs durch einen pechschwarzen Kamin, in dem warme Höhlenwinde durcheinander wirbelten, wurde mir mein Körper sehr stark bewusst, allem voran die unteren, die – wie der ehrenwerte Heilige Paulus sie genannt hatte – unedlen Teile zwischen Nabel und Oberschenkeln. Ich war in keiner Weise sexuell erregt, und doch spürte ich alle diese Teile ganz deutlich, vor allem die Bewegungen meiner Eingeweide, die sich mit dem kurz zuvor genossenen Essen beschäftigten. Wer wagt es, die Tätigkeit eines Darms niedrig oder unanständig zu nennen? Nur ein Mensch, der nie eine Störung dieser archaischen, so demütigen und unauffälligen Tätigkeit seines Inneren erlebt hat. Eine simple Diarrhöe, eine Magenverstimmung genügt, um uns ins Gedächtnis zu rufen, dass wir Geschöpfe des Leibes sind. Gott schuf uns aus Erde, und wie Regenwürmer verschlingen wir Erde und scheiden sie aus.
Je tiefer ich in den stockdunklen, feuchten Schlot hinunterstieg, von einem Handgriff zum anderen tastend, desto deutlicher wurde mir der primitive Hochmut jenes gnostisch beeinflussten Christentums bewusst, das uns als spirituelle Wesen betrachtet. Nichts dergleichen! Wir alle, Alec, Robert und ich, drei kluge, tapfere und weltweise Menschen, waren an unsere Erdenleiber gebunden, und Zentrum dieser aus Adama, aus Erde, geschaffenen Adams und Evas waren die Eingeweide.
Staub bist du und zu Staub wirst du zurückkehren ...
Aus irgendeinem versteckten Erinnerungsspeicher drangen die alten schrecklichen Worte in mein Gedächtnis:
Dies irae, dies illa
Solvet saeclum in favilla .. [1]
Staub war Scheiße, und Scheiße war Staub. Wir alle waren daran gebunden, solange wir auf dieser Erde wandelten. Zentrum unseres Daseins war nicht das Herz, sondern der Darm, jene Metropolis-ähnliche Maschinerie, die unsere Nahrung in Mittel des Lebens umwandelte ... Die alten Juden hatten das verstanden, hatten Körper und Seele gleich gesetzt, ganz anders als die zimperlichen und hochmütigen Griechen, die dem Leib zugunsten der Seele abgesagt und so jene mittelalterliche Perversion geschaffen hatten, die nur in der Vernichtung und Erniedrigung des Leibes die Befreiung der Seele erhoffte. Die Narren!
Die Zeit war mir im Laufe dieses Abenteuers abhandengekommen, aber irgendwann setzte ich den Fuß nicht mehr auf eine Stufe, sondern auf ebenen Boden und wusste, dass ich angekommen war. Ich spürte Erde unter mir, raue, rissige Erde, als wäre
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