Das Haus der glücklichen Alten
schließlich alles ganz still. Selbst das, was man sagte, verlor jeden Sinn und wirkte nur als ein Widerhall des Schweigens, als nichts, als absolut gar nichts. So dachten die Polizisten, und alle schwiegen in der Erinnerung an irgendetwas, das mit einem der drei Verstorbenen zu tun hatte. Manche waren schon seit langem vergessen, ohne dass sie je ein Wort oder ihren Willen äußerten, sie waren nur noch Beschäftigungen. Sie beschäftigten, und dann nicht mehr.
6 Schönheit des Edelmanns
und Hunger des Elenden
Am fünfzehnten Januar neunzehnhundertachtundzwanzig war João Esteves ein junger Mann von zwanzig Jahren, der kein leichtes Leben führte. Seine Eltern fristeten im Norden des Landes ein elendes Dasein, derweil er einen herrischen Onkel ertragen musste, der es geschafft hatte, in der Hauptstadt Fuß zu fassen, das heißt, er machte Geschäfte mit diesem und jenem und richtete, trotz eines Bergs von Schulden, ein paar Läden in Lissabon ein, war dort aber in Sicherheit vor scharfen Krallen und beseelt von großem Siegeswillen. Drei. Drei Läden, die eine zahlenmäßig ernstzunehmende Kundschaft hatten und die erwarten ließen, dass der dicke Mann die Chance hatte, munter Geld zu verdienen. João Esteves’ Mutter, die Schwester des Dicken, hatte schon ein paarmal angefragt, ob sie nicht ebenfalls in die Hauptstadt kommen konnte, sie wollte dort als Putzfrau und Wäscherin arbeiten und würde alles auf sich nehmen, um dem Regen, der Kälte und der Armut des Nordens zu entkommen. Aber der Unternehmer war nicht zu großen Wohltaten aufgelegt, den Neffen hatte er bei sich untergebracht, weil der ein junger Bursche war, der noch das ganze Leben vor sich hatte. Doch die Verantwortung für die Familie zu übernehmen, das war für ihn eine Last, die er sich nicht aufbürden wollte, und bei jedem Gespräch über diese Frage stellte er sich taub und ging nicht darauf ein. Keine Briefe und keinen Besuch, die Sache war erledigt, denn das hier in Lissabon, das war kein Zuckerlecken, und er hatte einfach nicht den Kopf dafür, um zum Familienoberhaupt von allen zu werden. Am fünfzehnten Januar neunzehnhundertachtundzwanzig schien João Esteves nur ein unbefangener, unbekümmerter Bursche zu sein, denn die Jugend seiner zwanzig Jahre glättete sein Gesicht selbst dann, wenn er unausgeschlafen war. Seine Großherzigkeit angesichts der in Selbstmitleid zerfließenden Familie, andererseits der aufrichtige Wunsch, ihr zu helfen, ließen ihn glauben, dass er das fundamentale Element war, um kosmisch die besten Energien auszustrahlen für das Blut der Esteves, die unter beklagenswert geringen Einkünften litten. Schließlich war es sein Lohn, der auf die Bank kam, um zwischen ihm und den Eltern aufgeteilt zu werden, und es war natürlich der kosmische Einfluss, die ganze Mystik in einem Zauberkunststück, das darin bestand, dass man das Geld an einem Ort hinterlegte und dass es danach an einem anderen Ort war, dabei aber unabänderlich innerhalb weniger Tage verschwand. Dieserart, ohne sich allzu sehr den Kopf zu zerbrechen, damit er die Zukunft für möglich halten konnte, betrat João Esteves wieder einmal den Tabakladen Alves und kaufte die von seinem Onkel verlangte Zeitung. Er betrat den Tabakladen mit einem artigen Lächeln und begrüßte Senhor Fernando Pessoa, der gerade ein kurzes Gespräch mit dem Ladenbesitzer führte, dann begrüßte er den Ladenbesitzer selbst und bat ihn um die Zeitung wie immer, mit dem hellen Leuchten wie immer, das in erster Linie fröhliche, seinen körperlichen Vorzügen gedankte Schönheit war, würdig eines Aristokraten. In der Genetik, sollte João Esteves später durch den Kopf gehen, kennt man solche ironischen Merkwürdigkeiten, sie schmückt uns mit der Schönheit eines Edelmanns und lässt uns den Hunger der Elenden durchleiden. Offenbar schämte er sich seiner Armut noch mehr, wenn die eleganten Edelfräuleins nach ihm verschmachteten. Er fühlte sich noch lächerlicher als ein Haustier, das sich die feinen jungen Damen wünschten und das sie bestimmt problemlos kaufen konnten. Und umstandslos verließ João Esteves den Tabakladen, ohne sich dessen bewusst zu sein, dass er in den fruchtbaren Boden der Schöpfungskraft Fernando Pessoas den Samen eines Gedichts für die Ewigkeit gelegt hatte.
Er wusste den Namen des Dichters, wusste, dass er in einem Büro arbeitete, immer korrekt gekleidet, mit Krawatte und Hut, wobei Letzterer sehr viel besserer Qualität war als der seine. Dieser
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