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Das Haus der glücklichen Alten

Das Haus der glücklichen Alten

Titel: Das Haus der glücklichen Alten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Valter Hugo Mae
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Pessoa stand gelegentlich in dem Tabakladen, warf höchst gefährliche Blicke auf die Zeitungen, Blicke, die Jagd auf die Wörter machten, als könnte es in der Druckerschwärze auf diesem Papier Dinge geben, die ihn wirklich etwas angingen und irgendeinen Hunger befriedigten. João Esteves konnte sich nicht vorstellen, was das sein mochte. Er vermutete, ohne jedoch lange darüber zu grübeln, dass sich die Büromenschen für alles interessierten, weil sie für alles gebildet waren und vielleicht Interessen entwickelten und, es musste mit dem Geldverdienen zu tun haben, weil sich das Leben klar und deutlich zwischen denen aufteilte, die für ihren Unterhalt etwas taten, und denen, die nichts dafür taten. Die Büromenschen mit den schlaffen Körpern von Leuten, die sich nicht viel bewegen, bewegten viel mit dem Kopf. Sie waren gebildet und taugten für unsichtbare Dinge, was etwas ganz anderes war als im Laden herumzulaufen, Kisten zu schleppen und in den Regalen bis nach ganz oben zu klettern, wo die Schwächsten, zimperlich, wie sie waren, das Gleichgewicht verloren.
    Ein paar Tage später, nicht lange danach, betrat João Esteves den Tabakladen, und Senhor Alves ließ ihn eine Minute länger warten. Nur eine Minute. Er sagte zu ihm, dass dieser Fernando Pessoa, der gewöhnlich im Laden vorbeikam, hin und wieder Gedichte schreibe, und sie beide kämen in einem Text von ihm vor. Er hat es mir gesagt, aber nicht gezeigt, erklärte Senhor Alves, der noch hinzufügte, das würde ich sogar gern lesen, aber ich habe ihn noch nicht überzeugen können, ich weiß nicht, ob er noch daran feilen will, denn ein Gedicht braucht seine Zeit, um zu reifen. Fernando Pessoa selbst hatte den Ladenbesitzer gefragt, wie dieser junge Mann von neulich heiße, der mit der glänzenden Haut, er habe ihn schon öfters hier gesehen, makellos, immer so vielversprechend und unternehmungslustig. Der Ladenbesitzer antwortete, das war der Esteves. Er erzählte ihm von Esteves, er habe eine gute Erziehung und komme immer ganz früh, genau zu der Zeit, die für furchtlos arbeitende Menschen typisch sei. Der Dichter Fernando Pessoa erinnerte sich an den Namen, ja, den Namen wisse er schon, und er stimmte ihm zu, dass er gute Manieren habe. Danach versank er kurz in seinen Gedanken und verabschiedete sich. Als er wiederkam, wenige Tage danach, konnte er nicht an sich halten und erzählte von der Niederschrift des Gedichts mit der sichtlichen Freude eines Menschen, der einen kostbaren Text entdeckt hatte. Der Besitzer des Tabakladens sagte dreimal, ach, Herr Doktor, Sie müssen mich das lesen lassen, es macht mich richtig stolz, dass ich in die Literatur eingegangen bin. João Esteves fragte ihn dann: Und er ist wirklich ein Schriftsteller? Senhor Alves antwortete, genauso, wie wir Zweibeiner sind, halten Sie sich das mal vor Augen, ein Schriftsteller, der hier reinkommt wie irgendwer und der sich sogar von uns inspirieren lässt, Mannomann, wir sind eine Inspirationsquelle. Fernando Pessoa, dachte João Esteves, ein Schriftstellername. Danach erwog er, ob denn das Gedicht, eine Angelegenheit, von der er nicht den leisesten Schimmer hatte, nicht ein langweiliger Scheißdreck sein müsse. Er blickte sich um, und ihm fiel das Durcheinander im Laden auf, die Unordnung überall, und wie hässlich der Besitzer aussah, und er stellte fest, dass ringsum rein gar nichts sonderlich Schönes zu schauen war, wie sollte ein Gedicht schön sein, wenn es mit dem Gedanken an all das hier geschrieben war?
    Ich, wie alle Menschen, die jemanden verloren haben, mit oder ohne Glauben, ich dachte, dass Laura an irgendeinem Ort sein müsse, gleichsam in einer letzten Zuflucht eines Bewusstseins, das erkennbar wäre, aber auch mich erkannte, und ich starrte den unmetaphysischen Esteves mit dem festen Entschluss an, ihn schleunigst dorthin zu schicken, wo Lauras Ort jetzt war. An den Ort, wo sie ihn treffen würde. Nach unserem Gespräch dachte ich für einen Moment, wenn der fast hundert Jahre alte Mann starb, könnte er Laura unterwegs treffen. Wie lächerlich für einen von Abstraktionen freien Mann wie mich, dass ich an die Lüge vom Leben nach dem Tod dachte und dass ich mir den üblichen Schwindel zusammenphantasierte, mit dem wir vor dem Verhängnis, vergänglich zu sein, unseren Frieden finden wollen. Wenn dieser Esteves nach dem Tod mit meiner Laura zusammentreffen wird, dann nur, weil man ihn zusammen mit ihr begraben, weil das Fleisch von beiden dort verfaulen und

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