Das Haus der glücklichen Alten
Erkrankung zutiefst erschüttert. Der europäische Silva fuhr dazwischen, das ist schon an die zwei Monate her, und alle sahen einander an, als wäre es dadurch weniger ernst. Anscheinend war eine alte Nachricht immer weniger ernst. Die Frau drückte ihr Mitgefühl aus, sie sagte, das tut mir aber leid, das ist ein Problem, wir werden alt, und da treten diese Dinge auf. Wissen Sie, ich habe solche Schmerzen im Fuß, dass es mir manchmal so vorkommt, als wäre er weg, verbraucht. Senhor Pereira erwiderte erregt, Sie haben ja keine Ahnung, wie das ist, wenn einem die Hoden schmerzen wie mir, ich habe das Gefühl, ich würde daran am Baum hängen! Nun gut, räumte sie ein, Hodenschmerzen habe ich keine, aber dass jemand solche Beinschmerzen hätte wie ich, das habe ich noch nicht gehört, ich kann stundenlang nicht aufstehen und stöhne nur, und es helfen auch keine Tabletten. Als hätte ich wütende Katzen in den Knochen. Es ist eine Qual. Senhor Pereira erregte sich noch mehr und sagte, also, Senhora, die Füße, wissen Sie, die können ja wohl nicht so weh tun wie Krebs, Krebs, davon haben Sie doch schon gehört, oder? Der fängt an einem Körperende an und frisst sich weiter, bis zum Ende der Seele, der wütet maßlos, und sogar alles um uns herum tut uns weh. Tut Ihnen das Bett weh?, fragte sie. Und ob es mir weh tut!, erwiderte er, sogar der Teppich und die Tür und sogar Ihre Frisur, die aussieht wie das Flachland von Madeira. Wenn wir Krebs haben, dann tut uns alles weh, Senhora, alles. Dona Glória do Linho machte sich nicht mehr klein und reckte sich auf dem Stuhl weiter nach vorn, so dass sie imposanter wirkte, und sie antwortete, in Ihrem Alter ist Krebs nur noch etwas Theoretisches, er tut nichts mehr, er ist zahnlos, aber ein Problem mit den Knochen, als würden sie zerbröckeln und ins Fleisch eindringen, bis sie gerade stehen, das tut wirklich weh, verstehen Sie, dafür gibt es kein Rezept und keine Hoffnung auf Besserung, die Beine bohren sich in die Muskeln wie Klingen, die sich in die Muskeln bohren. Wie Messer. Wie zwei große Fleischermesser, auf denen man das Gleichgewicht sucht. Da kann man nicht ans Bett denken, und auch nicht an den Teppich, und noch weniger an die Frisur oder anderer Leute Glatze. Wissen Sie, an nichts, man denkt an gar nichts. Senhor Pereira stand auf und ging. Er verschwand im Haus. Wir schwiegen während langer Sekunden, keiner traute sich, etwas zu sagen. Auf einmal erschien Senhor Pereira wieder an der Tür und brüllte, das ist Krebs, Senhora, und das weiß jeder, dass Krebs die schlimmste Krankheit ist, die man kriegen kann, haben Sie gehört, Sie müssen sich mal vorstellen, wie das ist, wenn sich Ihnen Ihre Messer in den Arsch schieben, verstehen Sie, Senhora, in den Arsch! Er kam näher heran und legte von neuem los, man sitzt da und hat das Gefühl, dass das Arschloch ein Eigenleben führt, es bewegt sich nach Lust und Laune und käut Gedanken wieder, so als würde es da drinnen alles auffressen, kapieren Sie! Es gibt nichts Schlimmeres, oder haben Sie sich schon mal vorgestellt, wie das ist, wenn sich ein Arschloch bewegt, als würde es alles auffressen? Nicht mal, wenn sich Ihre beiden Füßchen nach oben krümmen und als Hände dienen würden! Seien Sie froh, dass Sie nicht wissen, was es heißt, am Körperende im lebendigen Fleisch ein Loch zu haben, das sich einen Dreck schert, was seine Aufgabe ist! Und wieder verschwand Senhor Pereira im Haus. Anísio war von der Explosion wie am Boden zerstört. Er wirkte untröstlich, verlangte doch die entstandene Lage, zu wählen zwischen Liebe und Freundschaft, ein uralter Blödsinn, eine kindische Eifersucht. Dona Glória do Linho brachte keinen Mucks hervor, alles war viel unfeiner, als sie erwartet hatte. Ich ergriff für niemanden Partei. Mir war die Luft knapp, als wäre die verfügbare Luft seit einiger Zeit weniger geworden. Als wäre das einfache Atmen mühsamer geworden. Das hatte ich schon gemerkt.
Der europäische Silva blieb ein paar Minuten mit mir allein, nachdem die anderen fort waren, böse hatten sie sich in allen Richtungen aus dem Staub gemacht. Ich sagte ihm gleich, er solle mir nicht in meinem Kopf herumfuhrwerken, er solle mich in Ruhe lassen mit seinen Ideen, weil ich es satthatte, weil mir nun auch noch der Rücken weh tat und ich immer noch nach Luft rang. Er antwortete, ich bin zwar jünger als Sie, aber ich habe auch meine Probleme, Freund Silva, wir sind hier nicht, damit es uns bessergeht,
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