Das Haus der Madame Rose
ausgeschaltet. Ich hatte das Gefühl, schon Ewigkeiten auf den Beinen zu sein. Es war Zeit, wieder in die Rue Childebert zurückzukehren. Blaise zog den schweren Karren, und gleich nachdem wir im Laden angekommen waren, wurden die Blumen geschickt in Vasen ins Wasser gestellt.
Bald würde die Türglocke läuten, und Alexandrines Blumen würden ihren magischen, duftenden Weg durch die Stadt antreten. Dennoch ist und bleibt mir mein Blumenmädchen ein Rätsel. Trotz all der Jahre, trotz unserer langen Gespräche und Spaziergänge durch den Jardin du Luxembourg wusste ich sehr wenig von ihr. Gab es einen jungen Mann in ihrem Leben? Ist sie die Geliebte eines verheirateten Mannes? Ich habe keinen Schimmer. Alexandrine ist wie dieser faszinierende Kaktus, den Maman Odette besaß: trügerisch weich und erschreckend stachlig.
Nach und nach lernte ich , ohne Dich zu leben. Ich musste es ja. Müssen das nicht alle Witwen? Es war ein anderes Leben. Ich versuchte tapfer zu sein und ich denke, ich war es auch. Père Levasque war mit der Restaurierung seiner Kirche durch einen der Architekten des Präfekten beschäftigt – Victor Baltard, der momentan auch die neuen Markthallen baut, von denen ich Dir erzählt habe – und hatte keine Zeit mehr, mit mir im Jardin du Luxembourg spazieren zu gehen. Ich musste mich allein durchschlagen. Das gelang mir mithilfe meiner neuen Freunde. Alexandrine hielt mich auf Trab. Sie schickte mich mit Blaise auf Botengänge. Wir waren ein tolles Paar, wir beide. Man kannte und grüßte uns von der Rue de l’Abbaye bis hinunter zur Rue du Four, er mit seinem Leiterwagen und ich mit kostbaren Blumen im Arm.
Am liebsten lieferten wir Rosen für die Baronne de Vresse. Alexandrine suchte sie den ganzen Morgen über sorgfältig aus. Das brauchte seine Zeit. Es mussten die hübschesten, zartesten und duftendsten Blumen sein. Rosafarbene Adèle Heu . Weiße Aimée Vibert , zartgelbe Adélaide d’Orléans oder die dunkelrote Rosa Amadis . Sie wurden mit nassen Stielen vorsichtig in Seidenpapier eingeschlagen und in Schachteln gelegt, und wir mussten sie schnellstens zur Baronne bringen.
Die Baronne de Vresse wohnte in einem schönen, altehrwürdigen Haus an der Ecke Rue Taranne und Rue du Dragon. Célestin, der Hausdiener, öffnete uns die Tür. Er hatte ein ernstes Gesicht und eine hässliche haarige Warze an der Nase und er war der Baronne völlig ergeben. Wir mussten eine breite Steintreppe in die erste Etage hinaufsteigen, das dauerte eine Weile – Blaise kämpfte mit dem Leiterwagen und ich musste aufpassen, dass ich auf den Fliesen der ausgetretenen Stufen nicht ausrutschte. Die Baronne ließ uns nie warten. Sie strich Blaise über den Kopf, steckte ihm ein paar Münzen zu und schickte ihn in den Laden zurück, mich bat sie herein. Ich sah ihr dabei zu, wie sie die Rosen arrangierte. Niemand außer ihr durfte die Blumen anfassen. Wir saßen in ihrem großen hellen Zimmer, ihr »Versteck«, wie sie es nannte. Es war erfrischend schlicht. Hier gab es keinen karmesinroten Samt, keine Goldschnitzereien, keine Spiegel, keine glitzernden Lüster. Die Wände waren mit hellroten Tapeten bespannt, Kinderzeichnungen waren angeheftet. Die Teppiche waren weiß und weich, die Vorhangschabracken mit Toile-de-Jouy überzogen. Es sah aus wie in einem Landhaus. Die Baronne stellte ihre Rosen gern in hohe, schlanke Vasen, sie wollte immer mindestens drei Sträuße haben. Manchmal ging ihr Mann ein und aus, ein vornehmer, aufgeweckter Herr, der mich kaum zur Kenntnis nahm, aber nichts Unangenehmes an sich hatte.
Ich konnte dort stundenlang sitzen und in dieser freundlichen, femininen Atmosphäre schwelgen. Worüber wir sprachen, fragst Du doch wohl. Über ihre Kinder, zwei süße kleine Mädchen, die ich manchmal mit ihrer Kinderfrau sah. Über ihr gesellschaftliches Leben, das mich faszinierte: Tanz im Bal Mabille , Oper, Theater. Und über Bücher sprachen wir viel, denn wie Du war auch sie eine leidenschaftliche Leserin. Sie hatte Madame Bovary in einem Zug gelesen, zur Verzweiflung (und zum Verdruss) ihres Mannes, denn nichts konnte sie von ihrem Buch loseisen. Ich gestand ihr, dass ich erst seit Kurzem las und meine neue Leidenschaft Monsieur Zamaretti verdanke, dessen Buchhandlung gleich neben Alexandrines Laden lag. Sie empfahl mir Alphonse Daudet und Victor Hugo, und ich lauschte ihr, als sie mit Entzücken die Werke dieser Autoren schilderte.
Wie unterschiedlich unsere Leben waren, dachte ich. Hatte
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