Das Haus der Madame Rose
Gedanken ordnen, denn ich fürchte, ich verwirre Dich nur noch mehr. Meine Kräfte lassen rapide nach. Ich bin zu alt, um unter solchen Bedingungen zu leben. Du weißt, dass mich nichts aus diesem Haus vertreiben kann.
Nun geht es mir ein kleines bisschen besser. Ein paar Stunden Schlaf, auch wenn sie kurz waren, haben mir wieder frische Kräfte geschenkt. Nun ist die Zeit gekommen, Dir von meinem Kampf gegen den Präfekten zu erzählen, davon, welche Mühen ich auf mich nahm. Ich will Dir alles berichten, was ich unternahm, um unser Haus zu retten. Als der Brief letztes Jahr ankam, reagierten unsere Nachbarn ganz unterschiedlich. Nur Madame Paccard, Doktor Nonant und ich beschlossen, uns zu wehren.
Dazu musst Du wissen, dass im vergangenen Jahr trotz des Erfolgs der Weltausstellung die Stimmung umschlug. Der Präfekt verlor seinen ruhmreichen Nimbus. Nach fünfzehn zermürbenden Jahren des Abrisses der Stadt hatte sich ein Raunen der Unzufriedenheit erhoben, erst kaum hörbar, dann wurde es lauter und lauter. In der Presse las ich vernichtende Artikel über den Präfekten, verfasst von Ernest Picard und Jules Ferry, beide erbitterte Gegner des Zweiten Kaiserreichs. Man fragte sich, wie der Umbau von Paris finanziert werden, wie weit er noch gehen sollte. War die Entscheidung des Präfekten, die Île de la Cité abzureißen, richtig gewesen? Das Quartier Latin so radikal zu verändern? War das nicht ungeschickt? Und wie hatte er all das genau bezahlt? Und mitten in diesen Turbulenzen machte der Präfekt zwei entscheidende Fehler. Ich glaube, das wird ihn seine Ehre kosten. Die Zeit wird es zeigen.
Der erste Fehler betraf unseren geliebten Jardin du Luxembourg. (Oh, mein Lieber, darüber wärst Du außer Dir gewesen. Ich kann mir nur zu gut vorstellen, wie Du Dich an Deinem Morgenkaffee verschluckt hättest, wenn Du diese nüchterne Ankündigung in der Zeitung gelesen hättest.) Es war ein kalter Novembertag, Germaine schürte das Feuer, während ich Zeitung las. Da sah ich den entsetzlichen Artikel: Der Jardin du Luxembourg sollte um zehn Hektar beschnitten werden, um die Rue Bonaparte und die Rue Férou zu verbreitern. Aus denselben Gründen wollte man die schöne Baumschule im südlichen Teil des Parks verkleinern. Ich sprang so ungehalten auf, dass Germaine erschrak, und eilte hinunter in den Blumenladen, wo Alexandrine auf eine wichtige Lieferung wartete.
»Sagen Sie mir jetzt bloß nicht, dass Sie dem Präfekten in dieser Sache zustimmen!«, zischte ich und hielt ihr die Zeitung unter die Nase. Ich war so wütend, dass ich laut aufstampfte. Sie überflog den Artikel und zog die Mundwinkel herunter. Schließlich war sie eine glühende Naturliebhaberin. »Oh!«, rief sie aus. »Wie kann er es wagen?«
Trotz der Kälte kamen an jenem Nachmittag am Tor zum Park in der Rue Férou viele Leute zusammen. Ich ging mit Alexandrine und Monsieur Zamaretti hin. Schnell hatte sich eine größere Menschenmenge versammelt, die Gendarmen wurden gerufen, um alles unter Kontrolle zu halten. Studenten riefen: »Lang lebe der Jardin du Luxembourg!« Fieberhaft wurden Petitionen unterschrieben. Mit meiner plumpen, behandschuhten Hand unterschrieb ich, glaube ich, drei Anträge. Es war aufregend, zu sehen, dass sich all diese in Alter und Stand so unterschiedlichen Pariser zusammengefunden hatten, um ihren Park zu retten. Neben mir unterhielt sich eine vornehme Dame angeregt mit einem Ladenbesitzer. Madame Paccard war mit ihrer ganzen Belegschaft gekommen. Mademoiselle Vazembert hatte einen Herrn an jedem Arm. Und von Weitem sah ich die bewundernswerte Baronne de Vresse mit ihrem Gatten, gefolgt von den beiden Mädchen und deren Kinderfrau.
Die Rue de Vaugirard war schwarz vor Menschen. Ich fragte mich, wie um alles in der Welt wir alle wieder nach Hause kommen wollten, aber das scherte mich nicht. Ich fühlte mich sicher mit Alexandrine und Monsieur Zamaretti. Alle zusammen und jeder Einzelne standen wir hier vereint gegen den Präfekten. Es war ein wundervolles Gefühl! Morgen früh würde er von uns lesen, wenn er mit seinen Leuten alle Zeitungen nach der Erwähnung seines Namens durchging – was, wie es hieß, morgens immer seine erste Tat war. Er würde von uns hören, wenn sich die Protestnoten auf seinem Schreibtisch stapelten. Wie konnte er es wagen, Hand an unseren zauberhaften Park zu legen? Wir alle hier hatten eine besondere Beziehung zu diesem Ort, zum Palais, den Fontänen, dem zentralen Wasserbecken, den Statuen,
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