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Das Haus der Madame Rose

Das Haus der Madame Rose

Titel: Das Haus der Madame Rose Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tatiana de Rosnay
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den Blumenrabatten. Diese friedvolle Anlage stand für unsere Kindheit, für unsere Erinnerungen. Wir hatten uns nun lange genug die aufgeblasenen, ehrgeizigen Projekte des Präfekten gefallen lassen. Dieses Mal aber würden wir ihm entgegentreten. Wir würden nicht zulassen, dass er sich an unserem Jardin du Luxembourg zu schaffen machte!
    Einige Tage lang versammelten wir uns regelmäßig am Tor, jedes Mal kamen mehr Protestierende. Du hättest das wahnsinnig aufregend gefunden! Die Eingaben wurden dicker und dicker, der Präfekt bekam eine immer schlechtere Presse. Studenten demonstrierten, und eines Abends konfrontierte die Menge den Kaiser, der auf dem Weg zu einem Theaterbesuch im Odéon war, persönlich mit ihren Protesten. Ich war selbst nicht dabei, aber ich habe von Alexandrine gehört, dass er peinlich berührt auf der Treppe gestanden habe, schützend in seinen Umhang gehüllt, sich angehört hätte, was die Leute zu sagen hatten, und dann bedeutungsschwanger mit dem Kopf genickt hätte.
    Ein paar Wochen darauf lasen Alexandrine und ich, dass die Anordnung zurückgezogen wurde, nachdem der Kaiser den Präfekten angewiesen hatte, seine Pläne zu revidieren. Wir waren überglücklich – doch unsere Freude sollte nicht lange währen. Der Park würde dennoch verkleinert werden, wenn auch nicht mehr so massiv. Die Baumschule würde in jedem Fall verschwinden. Es war ein enttäuschender Sieg für uns. Doch nachdem die Affäre um den Park abgeklungen war, keimte eine noch fürchterlichere Sache auf. Ich weiß nicht, ob ich die richtigen Worte finde, Dir das ganze Ausmaß der Angelegenheit zu beschreiben.
    Ob Du es nun glaubst oder nicht, der Präfekt hatte den Tod zur Chefsache erklärt. Er war der festen Überzeugung, der Staub, zu dem die verwesenden Leichen auf den Pariser Friedhöfen zerfielen, würde das Wasser vergiften. Starr vor Entsetzen las ich in der Zeitung, dass der Präfekt die innerstädtischen Friedhöfe aus Gründen der Gesundheitsprophylaxe auflassen wollte. Die Toten sollten nun nach Méry-sur-Oise gebracht werden, dreißig Kilometer nordwestlich von Paris bei Pontoise, auf einen riesigen Friedhof, in eine moderne Nekropolis. Der Präfekt plante, eigens Trauerzüge einzusetzen, die von allen Pariser Bahnhöfen abfuhren und mit denen die Hinterbliebenen mit dem Sarg des Verstorbenen nach Méry zur Beisetzung gelangen konnten. Das war eine solche Ungeheuerlichkeit, dass ich, als ich das las, nicht einmal gleich zu Alexandrine laufen und es ihr zeigen konnte. Ich konnte mich schlicht und ergreifend nicht mehr rühren. Ich dachte an meine Lieben, an Dich und Baptiste und Maman Odette, und stellte mir vor, wie ich so einen schrecklichen, schwarz umflorten Zug voller Trauernder, Leichenbestatter und Priester nehmen müsste, um Eure Gräber zu besuchen. Mir war zum Heulen zumute. Und ich glaube, ich weinte wirklich. Ich musste Alexandrine aber den Artikel gar nicht zeigen, denn sie hatte ihn schon gelesen. Nur dieses Mal fand sie, der Präfekt hätte recht. Sie glaubte an eine umfassende Modernisierung der Wasserversorgung und hielt es für gesundheitsfördernd, die Toten außerhalb der Stadtgrenzen zu bestatten. Ich war zu empört, um ihr zu widersprechen. Ich fragte mich, wo ihre toten Angehörigen wohl lagen. Bestimmt nicht in Paris. Sonst hätte sie anders reagiert.
    Doch die meisten Pariser waren genauso schockiert wie ich. Umso mehr, als der Präfekt dann auch noch ankündigte, dass der Cimetière Montmartre umgestaltet werden sollte. Dutzende Gräber müssten verlegt werden, damit die Stützpfeiler der neuen Brücke über den Hügel gebaut werden könnten. Der Streit eskalierte. Die Zeitungen waren voll davon. Die Gegner des Präfekten spuckten Gift und Galle. Die Herren Victor Fournel und Louis Veuillot ergingen sich in wütenden Kampftiraden, die Dir gefallen hätten. Nachdem der Präfekt das Heim von Tausenden Parisern zerstört und sie zur Umsiedlung gezwungen hatte, wollte er nun auch noch die Toten vertreiben! Was für ein Frevel! Ganz Paris war in Aufruhr. Man spürte, dass sich der Präfekt nur mehr auf sehr dünnem Eis bewegte.
    Die Wende kam mit der Veröffentlichung eines sehr bewegenden Artikels im Figaro . Der Sohn einer gewissen Madame Audouard (eine dieser modernen Frauen, die mit spitzer Feder schreiben – nicht wie die Comtesse de Ségur mit ihren harmlosen Kindermärchen) war auf dem Friedhof von Montmartre begraben. Ich weiß nicht, wie alt der Junge war, als er starb,

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