Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Haus der Madame Rose

Das Haus der Madame Rose

Titel: Das Haus der Madame Rose Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tatiana de Rosnay
Vom Netzwerk:
große schwarze Blume.
    In Edgar Allen Poes Erzählungen begegnete ich den selben unheimlichen, eindrucksvollen Themen, die mich im Innersten ansprechen. Mir war völlig klar, warum Charles Baudelaire sein Werk übersetzen wollte. Sie haben dieselbe Denk- und Sichtweise. Ja, man kann einwenden, dass sie makaber waren, äußerst mysteriös und voll ausufernder Fantasie. Verblüffen Dich die wunderlichen literarischen Vorlieben Deiner sanften Rose? Meine Lieblingsgeschichte ist Der Untergang des Hauses Usher. Sie spielt auf einem düsteren, efeuumrankten Anwesen mitten auf einer Insel mit Blick auf einen dunklen, stillen Tümpel. Der namenlose Ich-Erzähler wird von einem Jugendfreund, der an einer nicht näher benannten Geisteskrankheit leidet, in einem Brief dringlich um Hilfe gebeten. Ich kann gar nicht beschreiben, was für eine Erregung mich packte, als ich die Erzählung zum ersten Mal las. Eisige Schauder liefen mir über den Rücken. So eine Atmosphäre des Bösen, der Angst, das Wirken dämonischer Mächte, die in den Untergang führen! Immer wieder musste ich innehalten und Luft holen, manchmal dachte ich, ich könnte nicht weiterlesen, denn dieser Stoff war so stark, so zwingend, dass er mich zu überwältigen drohte. Ich konnte nicht atmen. Und dennoch musste ich zu dem Buch zurückeilen, nichts und niemand konnte mich von Roderick Ushers grauenvollem Geheimnis losreißen, von Madelines gespenstischem Auftritt in ihrem blutüberströmten Kleid, von dem Haus, das einstürzt und im Pfuhl versinkt. Poe verstand es, seine Leser in Bann zu schlagen.

Heute Morgen hob trotz der vorherrschenden Kälte wieder der Baulärm an. Es dauert nun nicht mehr lange. Da mir nicht viel Zeit bleibt, will ich mit meiner Geschichte fortfahren. Ich muss Dir noch immer so viel erzählen! Vor einem halben Jahr beschlossen Madame Paccard, Doktor Nonant und ich, zum Hôtel de Ville zu gehen und gegen die Zerstörung unserer Straße zu protestieren. Unsere zahlreichen Schreiben waren von den Beamten beantwortet worden, die, wie Du Dir vorstellen kannst, lediglich immer wiederholten, dass die Entscheidung unwiderruflich sei, dass man aber über die Entschädigungssumme, die uns zugewiesen werden sollte, noch verhandeln könne. Doch für uns drei war nicht das Geld ausschlaggebend. Wir wollten unsere Häuser behalten.
    Also, stell Dir uns drei an jenem Junitag vor. Wir waren wildentschlossen – Madame Paccard mit bebendem Dutt, Doktor Nonant mit ernstem Gesicht und Backenbart und Deine Rose in ihrem besten weinroten Seidenmantel und ihrem Hut mit Schleier. An jenem sonnigen, warmen Morgen überquerten wir den Fluss, und ich war wie immer beeindruckt von dem prachtvollen Renaissancebau am anderen Ende der Brücke. Mein Magen hatte sich vor lauter Nervosität verkrampft, und mir war fast schwindlig vor banger Erwartung, während wir auf die erhabene Steinfassade zugingen. Waren wir nicht verrückt zu glauben, den Präfekten persönlich zu Gesicht zu bekommen? Und würde er uns überhaupt anhören? Ich war froh, dass ich nicht allein war und meine Mitstreiter an meiner Seite hatte. Die beiden wirkten sehr viel selbstsicherer als ich.
    In der riesigen Eingangshalle, die ich noch nie betreten hatte, plätscherte ein Brunnen unter der Windung einer breiten Treppe. Menschen schlenderten in Grüppchen durch die große Halle, die mit ihrem Deckenschmuck und ihrer majestätischen Würde Ehrfurcht gebot. Hier lebte und arbeitete er also, er, dieser Mann, dessen Namen niederzuschreiben ich noch immer nicht über mich bringe. Er und seine Familie (die graue Maus Octavie, die angeblich gesellschaftliche Verpflichtungen hasst, und die beiden Töchter Henriette und Valentine, rosagesichtig, vollbusig, goldblond und zurechtgemacht wie Preiskühe) schliefen irgendwo in den labyrinthischen Winkeln unter dem gewaltigen Dach dieses Prachtbaus.
    Ach, wir hatten in den Zeitungen alles über diese üppigen, verschwenderischen Feste gelesen, die hier mit einem Gepränge abgehalten wurden, als sei der Präfekt der Sonnenkönig in Person. Baronne de Vresse war vor einem Jahr beim Ball gewesen, der für den Zar und den König von Preußen gegeben worden war – drei Orchester und tausend Gäste. Auch beim Empfang für Kaiser Franz-Joseph von Österreich im darauffolgenden Oktober war sie mit vierhundert anderen Gästen zugegen gewesen, die von dreihundert Kellnern bedient worden waren. Sie hatte uns das siebengängige Menü und die großen Blumenarrangements

Weitere Kostenlose Bücher