Das Haus Der Schwestern
mit gezücktem Bleistift neben ihnen auftauchte und sie erwartungsvoll ansah, seufzte er.
»Wir konnten uns noch nicht entscheiden«, sagte er.
Montag, 23. Dezember 1996
Sie war bereit zum Aufbruch. Zwei Koffer standen fertig gepackt gleich unten neben der Haustür. Daneben noch eine Reisetasche und eine Plastiktüte. In der Tüte befand sich der Proviant für die Reise. Laura hatte in den letzten Jahren lernen müssen, an allem zu sparen, und das Zugrestaurant war auf jeden Fall zu teuer. So hatte sie belegte Brote vorbereitet und zwei große Thermoskannen mit heißem Tee gefüllt. Schließlich hatte sie eine lange Nachtfahrt vor sich. Aber morgen würde sie bei ihrer Schwester in Kent sein, und dann bekäme sie ein richtiges, warmes Essen. Das hieß, falls Marjorie in der Stimmung war, zu kochen. Meist hatte sie zu schlechte Laune, um sich auch noch in die Küche zu stellen, und dann konnte man froh sein, wenn man wenigstens eine Konserve aufgewärmt bekam. Marjorie fand immer einen Grund, um sich einer düsteren Stimmung hingeben zu können: das Wetter, die steigenden Lebenshaltungskosten, die Skandale im Königshaus. Sie deprimierte ihre Umgebung durch üble Prophezeiungen, und ständig beteuerte sie, glücklich über ihr fortgeschrittenes Alter zu sein; denn dies würde ihr ersparen, all die Tragödien durchleiden zu müssen, die auf die Erde und die Menschheit warteten. In ihrem Pessimismus, mit dem sie allem, was mit Fortschritt und Entwicklung zu tun hatte, begegnete, ähnelte sie Laura, war aber in ihrem Verhalten nicht von Angst, sondern von Aggression bestimmt. Marjorie bemühte sich nicht im mindesten um andere Menschen, während Laura von früh bis spät nichts anderes tat.
Wird wieder trist werden bei Marjorie, dachte Laura. Hätte sie das Haus nicht hin und wieder räumen müssen, um es zu vermieten, sie wäre höchstens mal über ein Wochenende zu Marjorie gefahren. Aus Anstand, weil es sich um ihre einzige lebende Angehörige handelte. Vielleicht hätte sie ihr auch nur dann und wann einen Brief geschrieben.
Je näher der Moment der Abreise heranrückte, desto elender fühlte sich Laura. Um fünf Uhr würde Fernand Leigh von Daleview herüberkommen, um sie zum Bahnhof nach Northallerton zu bringen. Eigentlich hatte sie Lilian, seine Frau, darum gebeten; aber am Vorabend hatte er angerufen und gesagt, er werde das übernehmen. Vermutlich konnte Lilian wieder einmal das Haus nicht verlassen.
Bis er kam, würden die Gäste aus Deutschland hoffentlich eingetroffen sein. In ihrem Bestätigungsschreiben auf die Buchung hatte Laura ausdrücklich betont, wie wichtig eine Ankunft bis um spätestens halb fünf sei. Diese Barbara Sowieso (Laura konnte sich den deutschen Nachnamen beim besten Willen nicht merken) hatte zurückgeschrieben, das sei auf jeden Fall machbar.
Es gab nichts mehr zu tun. Laura wanderte durch die Zimmer, einen Becher Tee in der Hand. Draußen schneite es. Sie hatte die Heizung im Keller hochgestellt, und das Haus war mollig warm. Schön würden sie es hier haben, diese Fremden, die sie vertrieben, die...
Hör auf! befahl sie sich. Sei nicht ungerecht! Niemand vertreibt dich. Niemand wird das je tun können.
Mit den Augen streichelte sie jeden einzelnen Gegenstand und prägte ihn sich ein. Hin und wieder saugte sich ihr Blick an einer Schublade fest oder an einem lockeren Dielenbrett, dann trat sie rasch näher, untersuchte die Stelle, die ihre Aufmerksamkeit erregt hatte, fand nichts und wandte sich wieder ab.
Hör auf zu suchen, ermahnte sie sich streng, du machst dich verrückt, wenn du immer nur daran denkst!
Sie schaute auf die Uhr. Halb drei. Der Dezembertag war nicht richtig hell geworden und würde sich nun schon bald wieder in Dunkelheit auflösen. Wenn sie nur nicht fort müßte!
Sie trat an eines der Fenster, die nach vorne zum Hof hinausgingen, und spähte den Weg entlang. Noch nichts zu sehen von den Gästen.
Der Regen ging in Schneeregen über, je weiter sie nach Norden kamen. Barbara und Ralph wechselten einander beim Fahren ab. Beide hatten sich rasch an das Linksfahren gewöhnt. Im dichten Verkehrsaufkommen um London herum hatte es noch einige Schwierigkeiten gegeben, aber die A1, The North, die sie nun vom Süden Englands in den Norden hinauffuhren, bereitete ihnen keine Probleme. Allerdings wurde das Schneetreiben dichter und unangenehmer. Die Scheibenwischer jagten hin und her, und Barbara, die gerade am Steuer saß, stellte fest, daß die Sicht immer
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