Das Haus der Seelen: Roman (German Edition)
findet, darf’s behalten, und wer’s verliert, kann mich ja verklagen. Die Wissenschaftler, die hier arbeiteten, wussten anscheinend nicht zu schätzen, was sie hatten, oder sie wären nicht ohne das Zeug verschwunden. Was bedeutet, dass das alles schon aus moralischen Gründen mir gehört.« Sie hielt inne und sah sich nachdenklich um. »Seltsam. Alles hier scheint angeschaltet zu sein und noch zu arbeiten. Als ob die Leute ihre Arbeit mittendrin unterbrochen hätten und weggegangen wären.«
»Seht ihr!«, sagte Kim. »Ich hab’s doch gesagt! Genau wie auf der Mary Celeste! «
»Es ist nicht normal, die ganze Zeit so begeistert zu sein«, sagte Happy. »Wenn ich nicht wüsste, dass sie tot ist, dann würde ich schwören, sie nimmt mehr Pillen als ich.«
»Aber wo sind die Forscher?«, fragte Melody. »Im Ernst, warum würden sie einfach gehen und alles weiterlaufen lassen?«
»Wahrscheinlich haben sie die Beine in die Hand genommen, als sie erkannten, dass alles den Bach runterging«, schlug Happy vor. »So wie das jede Person mit Verstand und mit geistiger Gesundheit tun würde.«
»Das wird jetzt langsam langweilig«, sagte JC. »Ich hör nicht zu, ich hör nicht zu …«
»Die sind doch gar nicht weg«, murmelte Kim. »Sie sind immer noch da.« Sie nickte sich selbst zu, dann bemerkte sie, dass die anderen sie ansahen. Sie zuckte mit den Achseln. »Ist nur ein Gefühl!«
»Melody«, sagte JC. »Such dir doch mal einen Computer, und entlock ihm einige Antworten. Und fang damit an, was genau ReSet bedeutet und was es tun soll. Und besonders wichtig: Was haben die Wissenschaftler von der letzten Versuchsreihe erwartet oder erhofft?«
Melody saß bereits vor dem nächstbesten Computer, der immer noch geschäftig vor sich hin summte. Auf dem Bildschirm war Stonehenge bei Sonnenuntergang zu sehen. Sie hämmerte auf die Tastatur ein, und der Computer gab prompt einige wichtig klingende Töne von sich, als er den Stonehenge-Bildschirmschoner durch eine Reihe von wissenschaftlich aussehenden Dateien ersetzte. Happy sah ihr über die Schulter, war schnell verwirrt und ging wieder dazu über, sich in dem großen Labor umzusehen, das sich über das ganze Stockwerk erstreckte.
»Ich schnappe etwas auf, JC, aber es ist schwer, etwas Deutliches zu empfangen. Da hängen immer noch eine Menge Emotionen in der Luft. Alle ganz sicher menschlich. Furcht, Wut, Panik, Schuld und ganz viel ›Haut bloß auf der Stelle ab‹. Im Grunde genau das, was man erwarten würde, wenn alles enorm in die Hose gegangen ist. Aber das ist dennoch alles … vage. Gefühlsgruppen, nicht so sehr individuelle Überreste. Komisch.«
»Ich hab was gefunden!«, rief Kim fröhlich. »JC, komm und sieh dir das an! Ich glaube, es ist eine Broschüre des Unternehmens!«
Sie versuchte, sie aufzuheben, aber ihre substanzlosen Finger glitten immer wieder durch das Papier und das Pult darunter hindurch. Sie ließ ein paar harmlose Flüche los, als JC es aufhob. Er blätterte durch die Hochglanzseiten und tat sein Bestes, um Kim, die hinter ihm schwebte, zu ignorieren.
»Scheint eine Art Mitarbeiterzeitung zu sein«, sagte er schließlich. »Nicht für Außenstehende. Grundsätzlich predigt sie Vertrauen ins Unternehmen. Eine Menge ›Gute Zeiten kommen, Boni für alle, euer Name wird in den Geschichtsbüchern stehen, also arbeitet alle hart fürs Wohl des Unternehmens‹. Der ganze übliche Unsinn, den Firmen von sich geben, um die kleinen Arbeitsbienen bei Laune und zur Arbeit anzuhalten. Unterm Strich scheint die Firma durch das Wunder der genetischen Manipulation Heilung für so ziemlich alles versprochen zu haben. Aber natürlich noch nicht jetzt. Die Leckerbissen gibt’s morgen.«
»Bitte?«, wollte Happy wissen. »Ist das wie damals, als meine Mutter mir eine Tablette auf einem Löffel Marmelade gab, damit ich sie auch nehme? Das vermisse ich.«
»Das ist aus dem Buch ›Alice hinter den Spiegeln‹«, erklärte Kim. »Du weißt schon – Marmelade morgen, Marmelade gestern, aber niemals Marmelade heute. Das musst du doch kennen – es ist ein Kinderklassiker von Lewis Carroll.«
»Mir fällt’s schwer, mir vorzustellen, dass Happy mal ein Kind war«, bemerkte JC. »Ich glaube, er wurde bereits nervös geboren, verschwitzt und hat gleich nach der Geburt versucht, von seiner Hebamme kostenlose Pillen zu schnorren.«
»Ich lese nie Carroll«, sagte Happy. »Ich hab’s versucht, aber es hat mir eine Heidenangst eingejagt. Ich war ein
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