Das Haus der Sonnen
Obwohl ich mich an die Herkunft des Schiffes nicht mehr erinnern konnte, war doch offensichtlich, dass es ursprünglich dazu gedacht gewesen war, Millionen Passagiere zu befördern. Manchmal fragte ich mich, ob mein Schiff den Zeiten nachtrauerte, da in den breiten Gängen und großen Hallen, auf den Plätzen und Atrien reges Getriebe geherrscht hatte. Jetzt musste es sich mit mir und bestenfalls einer Handvoll Gästen begnügen. Wir klapperten wie Gespenster in einem leeren Haus.
Wir hatten die andere Flitzkabine erreicht. In dem Bewusstsein, dass wir im nächsten Moment auf der Brücke wären und dass es dann keinen Grund mehr geben würde, die Übergabe des Schiffes hinauszuzögern, tippte ich das Ziel ein. Seit dem Start hatte ich mich für diesen Moment gewappnet, bis sich das Gefühl eingestellt hatte, ich könnte die Prozedur ohne emotionalen Schluckauf durchstehen. Jetzt aber schnürte sich mir die Kehle zu. Es würde nicht so einfach werden, wie ich gedacht hatte.
Die Wände der Kabine flammten rot auf. Diesmal würde es ein kurzer Sprung sein – es würde sich so anfühlen, als würden wir zwischen zwei Kabinen versetzt.
Irgendetwas geschah.
Ich glaube, ich verlor für einen Moment das Bewusstsein, denn meine Gedanken gerieten ins Stocken, was mit dem Flitzvorgang nichts zu tun hatte. Ich hatte das Gefühl, mit solcher Gewalt aus dem Wirkungsbereich des Feldes gestoßen zu werden, dass ich auf dem Boden aufprallte und benommen liegen blieb, nicht weil ich Schmerzen gehabt hätte, sondern weil ich genau wusste, dass sie jeden Moment einsetzen würden. Stöhnend rang ich nach Luft. Ich hatte keine Ahnung, was passiert war, doch als sich mein Blick allmählich scharf stellte, erblickte ich vor mir eine goldene Gestalt, eine Gestalt, die unverkennbar Hesperus war und zudem auch lebendig.
Kadenz und Kaskade waren nicht zu sehen.
»Wir müssen verschwinden«, sagte Hesperus, bückte sich und stellte mich auf die Beine. »Wir müssen so schnell wie möglich weg von hier.«
So benommen ich war, hatte ich doch nicht den Eindruck, dass ich mir etwas gebrochen hatte – dafür war der Schmerz zu diffus. »Hesperus«, sagte ich erleichtert und verwirrt. »Was …?«
»Für lange Diskussionen haben wir keine Zeit. Ich habe Sie aus der Transportzone gestoßen, als das Feld sich aufbaute. Kadenz und Kaskade wurden wie vorgesehen zur Brücke befördert. Sie sind bereits dort.«
»Zur Brücke«, krächzte ich. Ich stand aus eigener Kraft, wenngleich Hesperus mich stützte.
»Können wir von hier aus in den Hangar zurückkehren?«
Mein Blick hatte sich noch immer nicht ganz scharf gestellt, meine Gedanken waren träge. »Nein … wir müssen zur anderen Seite rüber, über die Brücke.«
»Gut. Darf ich Sie tragen? Dann geht es schneller.«
Ich weiß nicht mehr, was ich ihm antwortete. Er hob mich mit seinen goldenen Armen hoch und hielt mich fest. Dann stürmte Hesperus mit übermenschlicher Geschwindigkeit los. Wir querten den Schacht, in dem die auf- und absteigenden Maschinen ihren undurchschaubaren Tätigkeiten nachgingen, dann hatten wir die Flitzkabine erreicht. Hesperus gab das Ziel ein. Das Schiff akzeptierte seinen Befehl, da es ihn noch immer als willkommenen Gast ansah. Wir flitzten zum anderen Ende des Schiffes, zu der Kabine am Eingang des Hangars.
»Was ist passiert?«, fragte ich, als der Nebel in meinem Kopf sich allmählich lichtete.
»Ich habe Kadenz und Kaskade ausgetrickst«, antwortete Hesperus, als wir den Hangar betraten. »Die beiden Robots haben Sie über ihre wahren Absichten getäuscht.«
»Sie wollten mein Schiff haben. Ich war bereit, es ihnen zu überlassen. Was hat das mit Täuschung zu tun?«
»Das weiß ich noch nicht. Ich weiß nur, dass sie nicht die Absicht haben, mich zum Monoceros-Ring zu bringen. Als sie gerade eben Verbindung zu mir hergestellt haben, wollten sie mich umbringen.«
Hesperus war irgendwie – lockerer geworden. Seine Stimme hatte sich nicht verändert, doch er drückte sich umgangssprachlicher aus, weniger steif und präzise als früher.
»Weshalb sollten sie Sie umbringen wollen?«
»Als sie an Bord Ihres Schiffes Verbindung zu mir hergestellt haben, wollten sie mir alle Informationen entnehmen und mich töten. Anschließend hätten sie behauptet, ich wäre meinen Verletzungen erlegen. Aber sie haben nichts aus mir herausbekommen – ich habe mehr Widerstand geleistet, als sie erwartet hatten, und sie wollten nicht, dass jemand etwas merkt.
Weitere Kostenlose Bücher