Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Haus der Sonnen

Das Haus der Sonnen

Titel: Das Haus der Sonnen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alastair Reynolds , Norbert Stöbe
Vom Netzwerk:
kein Maschinenwesen auftaucht?«
    »Wir können keine Wunder vollbringen«, sagte ich leise. »Wir haben getan, was wir konnten. Mehr kann man nicht verlangen.«
     
    Die Untersuchungsergebnisse fielen nicht günstig aus. Die Strukturen unter der geschmolzenen schwarz-goldenen Oberfläche waren komplex und eng verflochten. Die Elemente des Raumschiffs und die des Robots durchdrangen einander. An der linken Seite hatte so gut wie nichts seine anatomische Integrität bewahrt, und das galt auch für den menschlichen Arm. In den Verwachsungen waren Aktivitäten feststellbar, ein arterieller Fluss von Energie und Materie, der darauf hindeutete, dass in seinem Körper noch Prozesse stattfanden. Akonit konnte von Glück sagen, dass er nicht einen dieser Leiter durchtrennt hatte, doch es war durchaus möglich, dass jeder Versuch, Hesperus weiter zu befreien, ihm mehr schaden als nutzen würde.
    Allerdings fanden in seinem Innern noch immer Denkvorgänge statt, und er fand eine Möglichkeit, sich mit uns zu verständigen, wenn auch nur kurz. Im Vertrauen darauf, dass die gegnerischen Schiffe zu weit zurückgefallen waren, um die Verfolgung fortsetzen zu können, hatten wir längst Kurs auf Neume genommen, den Belladonna-Zufluchtsort. Ich bemerkte es als Erster bei einem meiner regelmäßigen und zunehmend verzagten Versuche, Hesperus ein Zeichen des Wiedererkennens zu entlocken. Ich sah ihm in die Augen und die Gitterfenster, als ich ein Zittern am Rande meines Gesichtsfelds bemerkte. Ich senkte den Blick und sah, dass der Daumen seiner rechten Hand – der sichtbaren Hand – vom obersten Gelenk an zitterte, als wäre er von einem Krampf befallen, während der Rest des Körpers in vollkommener Reglosigkeit verharrte.
    Bis jetzt hatte sich der Daumen nicht bewegt.
    Nach einer Weile musste ich daran denken, wie Hesperus das Weinglas geritzt hatte. Mit dem elektrisierenden Gefühl, dass es sich nur um einen vorübergehenden Moment der Klarsichtigkeit handeln konnte, eilte ich nach nebenan zum nächsten Realisator und ließ ein Weinglas anfertigen. Ich drückte es Hesperus so in die Hand, dass der Daumen am Glas zu liegen kam. Der Daumen aber ritzte lediglich eine senkrechte Linie ins Glas, die mit jeder Bewegung tiefer wurde.
    Ich sah ihm ins Gesicht, hoffte darin einen Hinweis zu finden, eine Gefühlsäußerung, die alles klarstellen würde. Dann erinnerte ich mich, dass er das Glas zwischen den Fingern gewendet hatte, während er wie mit einem Laserstrahl Linie um Linie hineingeritzt hatte. Behutsam fasste ich das Glas, während sein Daumen sich weiterhin bewegte, und begann es zu drehen, so langsam und gleichmäßig, wie ich es vermochte. Etwas nahm Gestalt an, keine Linie, sondern ein Rechteck von Impressionen, die so undeutlich und skizzenhaft waren, dass ich erst dann ihren Sinn begriff, als er fertig war.
    Das merkte ich daran, dass der Daumen zur Ruhe kam; als ich ihm das Glas aus der Hand nahm und den Daumen berührte, war er bereits wieder so steif und reglos wie der Rest von ihm. Ich hielt das Glas blinzelnd ins Licht, doch auf den ersten Blick ergaben die Kratzer keinen Sinn, so dass ich mich schon fragte, ob es sich vielleicht doch nur um einen Krampf gehandelt habe. Ich wünschte mir so sehr, dass Hesperus wieder zu sich kommen möge, dass ich das bedeutungslose Zucken eines Leichnams für eine Mitteilung gehalten hatte.
    Doch irgendetwas hatte es mit den Kratzern auf sich. Sie waren unglaublich zart, kaum wahrzunehmen, doch Hesperus hatte zweifelsfrei ein Bild gezeichnet. Eine kreisförmige Umrandung mit Speichen – wie ein Wagenrad mit dicker Nabe.
    »Ich weiß nicht, ob Sie mich hören können«, sagte ich zu der reglosen Gestalt, »aber was das auch sein mag, was immer Sie mir sagen wollen, ich werde es herausfinden und die richtigen Schlüsse ziehen. Das verspreche ich.«
    Ich hatte keine Antwort erwartet, und ich bekam auch keine.

DRITTER TEIL
     
    E ines Tages erfuhr ich das wohlgehütete Geheimnis meiner Mutter und den Grund, weshalb unser Haus so war, wie es war. Es war nach einem Besuch des kleinen Jungen. Inzwischen liebte und verabscheute ich ihn, wie einen dunklen Teil meiner eigenen Psyche. Es war mindestens anderthalb Jahre her, dass ich ihn in die Geheimnisse des Puppenpalasts eingeweiht hatte.
    Er war Graf Mordax geworden. Er hatte eine ganze Reihe mentaler Zwischenstufen überwinden müssen, die jeweils einen ganzen Spielnachmittag beansprucht hatten. Zunächst hatte er sich in einen

Weitere Kostenlose Bücher