Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Haus der tausend Blueten

Das Haus der tausend Blueten

Titel: Das Haus der tausend Blueten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julian Lees
Vom Netzwerk:
müssen.«
    »Wenn du nicht nach England durchgebrannt wärst, wäre er noch am Leben. Ich wette, das ist es, was sie dir sagen werden.«
    »Mutter!« Lu See zog protestierend das Tischtuch zurecht. »Hast du überhaupt eine Ahnung, wie verletzend deine Worte manchmal sein können?«
    »Verletzend? Wie? Nein. Warum verletzend? Wen sollte ich damit denn verletzen – hm?«
    »Mich. Uns alle. Was ist eigentlich mit dir los?«, fragte Lu See herausfordernd.
    »Ich spreche nur das aus, was ich denke. Das ist alles. Und wenn es dir nicht passt …« Sie wedelte mit der Hand in der Luft herum. »… dann ist das nicht mein Problem. Ich sage eben meine Meinung.« Sie beäugte ihre Tochter. » Aiyoo, sieh mich nicht so an. Warum setzt du dich nicht hin? Mit deinem Hin- und Hergerenne machst du sogar mich nervös. Du kommst mir vor wie ein Betelnusswurm.«
    »Bitte, lass mich einfach in Ruhe weitermachen, ja? Ich will, dass das hier gut geht.«
    » Cha! Reine Zeitverschwendung.«
    Lu See zuckte mit den Schultern. »Wir werden sehen.«
    Ihre Mutter konnte nicht widerstehen, das letzte Wort zu haben. »Wir werden sehen − so ein Quatsch!«
    Am folgenden Tag kam der junge Koch der Woos mit einer Schachtel Ananas. Er verbeugte sich ehrerbietig und erklärte, dass Woo-sang Senior wegen einer Erkrankung in der Familie nun doch nicht kommen könne. Man bitte darum, das Obst als Geschenk und als Ausdruck des tiefen Bedauerns anzunehmen.
    »Eine verdammte Unverschämtheit!«, bellte Onkel Hängebacke. Er zog an seinem Stumpen und blies blauen Rauch in die Luft. »Man hat uns versetzt, eh!«
    Lu Sees Mutter wiegte ihren Kopf hin und her. »Siehst du? Ich habe es dir ja gleich gesagt. Reine Zeitverschwendung, liao . Jetzt sieh mich nicht so an, Lu See. Du weißt, dass ich recht habe.«
    Der Koch stellte die Schachtel mit den Ananas auf einen Tisch und wandte sich zum Gehen.
    »Warte!« rief Lu See, als er aus der Tür ging: »Wer ist denn krank geworden?«
    »Enkel Nummer eins«, erwiderte er.
    »Einen Augenblick. Ich komme mit.«
    Als Lu See, mit The Household Physician , dem Medizinbuch ihres Vaters, in Swettenham Lodge eintraf, bat der Koch sie, in dem kärglich beleuchteten Salon zu warten. Sie war bisher nur ein einziges Mal in diesem Haus gewesen, damals, kurz nach ihrer Rückkehr aus England, als sie der Familie die Nachricht von Adrians Tod überbracht hatte. Der Patriarch hatte sie hinausgeworfen und ihr gesagt, dass er nichts mit Mabel, seiner Enkelin, zu tun haben wolle. Es war eine traumatische Erfahrung für Lu See gewesen, eine, die sie lieber vergessen wollte. Mehrere Minuten saß sie jetzt schon im Salon der Woos, während sie sich umsah und dabei fragte, wie viele der Gegenstände wohl schon zu Adrians Zeit hier gewesen sein mochten, wie viele davon er mit seinen Händen berührt hatte.
    Kurze Zeit später erschien eine ganze Parade von Woo-Frauen in ordentlich gebügelten Kleidern und mit steifem Lächeln. Die Matriarchin der Familie trat einen Schritt vor und begrüßte sie mit gefalteten Händen.
    »Wie geht es dem Kind?«, fragte Lu See.
    »Sein Zustand hat sich verschlechtert«, erwiderte Matriarchin Woo ernst.
    »Darf ich den Jungen sehen?«
    »Warum?«, fragte die Mutter des Kindes, eine junge Frau von etwa fünfundzwanzig Jahren. Ihre Stimme klang völlig verunsichert und atemlos.
    »Ich möchte helfen.«
    »Ich bezweifle, dass du ihm helfen kannst, es sei denn, du bist Ärztin. Und welchen Sinn hätte es, einen Arzt zu rufen, wenn es keine Medikamente zu kaufen gibt?«, sagte eine der älteren Tanten.
    »Abgesehen davon«, meldete sich eine andere zu Wort und sah Lu See dabei mit scharfem Blick an, »haben sich sowieso alle Ärzte nach Kuala Lumpur davongemacht, wo es mehr Geld für sie zu verdienen gibt.«
    Lu See straffte die Schultern. »Ich mag zwar keine Ärztin sein, aber ich habe ein Medizinbuch dabei.«
    Ein herausforderndes Schweigen folgte. Die Tanten wechselten unsichere Blicke.
    »Lasst ihn mich wenigstens ansehen.«
    »Also gut«, sagte Matriarchin Woo.
    Sie führten Lu See die Treppe hinauf in einen matt erhellten Nebenflügel des weitläufigen Hauses. Im Zimmer des Kindes zog sich Lu See einen Stuhl ans Bett. Sie legte den Handrücken auf die Stirn des Jungen. Er hatte hohes Fieber und war im Delirium, weshalb er bereits seine eigene Familie nicht mehr erkannte.
    »Wo tut es weh?«, fragte sie den Jungen. »Fühlt sich der Schmerz eher stechend an, so als hättest du dich geschnitten, oder eher

Weitere Kostenlose Bücher