Das Haus der tausend Blueten
voran?«, fragte er.
»Ich habe in letzter Zeit nicht mehr viel gemalt. Aber ich habe jedes Jahr ein Porträt von Mabel angefertigt, zumindest habe ich das, bis – nun, du weißt schon.«
»Noch immer keine Nachricht von ihr?«
»Nein.« Sie versuchte sich zu strecken, doch der Schmerz in ihrem Unterleib ließ sie sofort zusammenzucken.
»Also, du weißt ja, was ich immer sage – keine Nachrichten sind gute Nachrichten, es sei denn, du bist Journalist.«
»Alles was ich weiß, ist, dass sie sich irgendwo tief im Dschungel von Johor aufhält.« Als sie sich jetzt streckte, knackten ihre Wirbel wie die Knie eines alten Mannes.
»Ich verstehe es noch immer nicht«, sagte Stan. »Mabel macht zwei Jahre lang eine Ausbildung als Krankenschwester, und drei Monate vor ihrer Abschlussprüfung wirft sie alles hin, um wie ein Affe im Dschungel herumzuturnen?«
Lu Sees Mutter, die offensichtlich von der anderen Seite des Restaurants ihr Gespräch mitgehört hatte, klopfte protestierend mit dem Löffel an ihre Tasse.
» Cha! Seit sie ihre Regel bekommen hat und ihr Haare zwischen den Beinen zu wachsen begannen, ist sie mit diesem Bong zusammen.«
Stan zog eine Augenbraue nach oben. »Bong Foo von der Malayan Communist Party?«
Lu See nickte. Sie war kurz davor, ihm zu sagen, dass sie Bong schon als Kind gekannt hatte. Irgendetwas hielt sie jedoch davon ab. Ein Teil von ihr bewunderte Bong, etwas an ihm – seine Unbekümmertheit und seine Leidenschaft – erinnerte sie an Adrian.
Adrian und Bong. Der Geisteswissenschaftler und der Guerillakämpfer. Abgesehen von ihrer Zuneigung zum radikalen Sozialismus gab es wenig, was die beiden Männer miteinander verband. Der eine hatte nur von einem kommunistischen Staat geträumt, der andere kämpfte aktiv dafür. Während Adrians politische Einstellung von seinem jugendlichen Enthusiasmus geprägt und rein theoretischer Natur gewesen war, vertraute Bong auf Disziplin, Heimlichkeit und Sabotage.
»Du warst ihr immer eine so gute Mutter. Das ist einfach nicht gerecht«, sagte Stan.
»Gerecht?« Lu See seufzte tief und schüttelte den Kopf. Die Vorstellung, dass das Leben irgendetwas mit Gerechtigkeit zu tun hatte, war einfach lächerlich.
Sie sah zur Kasse hinüber und nahm die Münzen vom Tisch. Schließlich sagte sie: »Mabel hatte schon immer ihren eigenen Willen.«
»Dieses halsstarrige Mädchen …«, sagte Stan. »Hast du … hast du jemals irgendeinen ihrer Freunde persönlich kennengelernt? Oder hast du schon einmal den Spitznamen ›das Maultier‹ gehört?«
»Mabel hat mir ihre Freunde so gut wie nie vorgestellt«, seufzte sie. »Sie hat alles für sich behalten.« Da sie jedoch vor Stan nicht schwach erscheinen wollte, hob sie entschlossen den Kopf und fügte hinzu: »Ich werde deshalb nicht die ganze Zeit Trübsal blasen. Und du, Mutter, kannst dir dein rechthaberisches ›Ich-hab’s-dir-ja-gleich-gesagt‹ sparen.«
Ihre Mutter, die am anderen Ende des Raums saß, räusperte sich geräuschvoll und wandte ihr Gesicht ab, um ihr so zu zeigen, dass sie das Ganze nur noch langweilte.
»Bestimmt fehlt sie dir«, sagte Stan.
»Jede Minute. Und jede Minute, in der ich nicht weiß, wo sie ist, macht es schlimmer.«
Der Schmerz in ihrem Magen verstärkte sich.
Stan nickte. Es gab nicht viel, was er darauf erwidern konnte. »Nun, wie gesagt, ich werde mich dann mal wieder auf den Weg machen. Wir sehen uns also nächsten Freitag.« Er legte den Kopf schief. »Sprang auf, furzte, stolperte, fiel …?«
»Ja, ich seh dich Freitag, Stan Farrell. Und viel Glück für morgen Nacht.«
Sie gaben sich ein wenig verlegen die Hand. Wenige Augenblicke später trat er durch die ramponierte Schwingtür in den hellen orangeroten Sonnenschein.
Katsching! Lu See warf die Münzen in die Schublade der Registrierkasse. Sie vergewisserte sich, dass sie unbeobachtet war, bevor sie einen roten Zehndollarschein aus dem Banknotenfach nahm und ihn rasch in einen Umschlag mit der Aufschrift Juru steckte.
Erst jetzt drehte sie sich um, um Stan noch einmal hinterherzusehen. Immer wenn sie Stan so davongehen sah, musste sie an die Schlussszene in Casablanca denken, wo Rick im Nebel dasteht und zusieht, wie das Flugzeug mit Ingrid Bergmann an Bord nach Lissabon davonfliegt. Stan erinnerte Lu See oft an Humphrey Bogart – allerdings mehr an Rick Blaine als an Sam Spade. Stan hatte etwas so Ruhiges und Angenehmes an sich. Eine Stille, so erfrischend wie ein Mittagsschläfchen.
»Er dir
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