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Das Haus der tausend Blueten

Das Haus der tausend Blueten

Titel: Das Haus der tausend Blueten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julian Lees
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Dornsträucher verhakten sich in ihrer Kleidung, zerrissen sie noch mehr, und je weiter sie in das Innere des ulu, des Gebiets flussaufwärts, eindrangen, desto öfter verhedderten sich ihre Haare an herunterhängenden Kletterpflanzen.
    Schließlich musste sie, den Kopf gesenkt, erschöpft um eine Pause bitten.
    Sie machte ein leises Geräusch, um Bongs Aufmerksamkeit auf sich zu lenken. »Psst!«
    Er drehte sich um.
    »Was ist?«
    Sie bedeutete ihm mit einer Geste, er solle zu ihr kommen.
    »Ich muss pinkeln.«
    Er schüttelte sichtlich verärgert den Kopf.
    »Ehrlich! Ich muss dringend pinkeln!«
    Bong musterte sie, hinter seinen runden Brillengläsern blinzelnd, kritisch. Mabel hüpfte wie ein Gecko auf einer heißen Betonwand von einem Fuß auf den anderen.
    »Wenn ich mir in die Hose pisse, wird man es im ganzen Dschungel riechen, und alles, was Beine hat, wird angerannt kommen!«
    Er gab den anderen ein Zeichen, worauf alle in die Hocke gingen.
    »Komm mit«, knurrte er.
    Er führte sie von den Männern weg und zu einer Stelle, wo Elefanten, die sich an den Palmen gütlich getan hatten, eine Schneise in den Urwald geschlagen hatten. Während sie darauf zugingen, nahm sie seine Hand. Eine schmutzige Hand mit Waffenöl unter den Nägeln. Angesichts der Aussicht, wenigstens kurz mit Bong allein zu sein, spürte sie Erregung in sich aufsteigen. Nachdem sie sich ein Fleckchen gesucht hatte, wo sie sich erleichtern konnte, fragte sie: »Hast du vor, mir zuzusehen?«
    »Natürlich.« Er grinste wie ein Schuljunge.
    »Dann bist du also auch noch ein Perverser.«
    Bong streckte ihr die Zunge heraus und begann zu schielen.
    »Hör auf damit!«, flüsterte sie und versuchte, ihr Kichern zu unterdrücken.
    Zu ihrer Freude schnitt Bong weiter alberne Grimassen. Mabel zog mit einer geschmeidigen Bewegung ihren Overall herunter und ging in die Hocke, lachend und deshalb nur stoßweise pinkelnd.
    Als sie, noch immer in der Hocke, nach oben blickte, sah sie anstelle von blauem Himmel nichts als Vegetation. Das Blattwerk war so dicht, dass es ein intensives malachitgrünes Nachbild auf der Rückseite ihrer Augenlider hinterließ, wenn sie blinzelte. Es gab keinerlei Anzeichen dafür, dass hier schon jemals zuvor irgendein Mensch gewesen war. Nur hin und wieder fiel etwas Licht durch eine Lücke im Blätterdach, bahnte sich ein dünner Sonnenstrahl seinen Weg zwischen den lanzenförmigen Blättern hindurch. Sie riss ein Blatt von einem Baum und drehte es zusammen, um eine Pfeife daraus zu formen. Erst dann fiel ihr wieder ein, dass sie kein Geräusch machen durfte. Sie entrollte das Blatt und tupfte sich damit zwischen den Beinen ab.
    Eine Stunde später verließ die gesamte Gruppe den Wald mit seiner üppigen Vegetation. Sie traten unter dem Baldachin aus Blättern hervor und hatten wieder freien Himmel über sich. Von der Lichtung aus konnten sie in etwa einer halben Meile Entfernung die Hauptstraße sehen. Um zu ihr zu gelangen, mussten sie eine kleine Schlucht überqueren, die direkt an den Urwald grenzte. Es ging tief hinunter, mindestens zehn Meter. Mabel schlitterte, sich an den Luftwurzeln einer Würgefeige festhaltend, auf dem Hintern den Abhang hinunter und landete platschend auf dem Grund der schlammigen Kluft.
    Nach dem Aufstieg auf der anderen Seite des Grabens begannen sie, in Vierergruppen aufgeteilt und jeweils zwanzig Meter voneinander entfernt die Straße durch ihre Ferngläser zu beobachten. Sie lauerten wie Raubtiere auf ihre Beute. Auf der Lichtung glänzten nasse Blätter im Sonnenschein. Bong, der hinter einem entwurzelten Baum kauerte, starrte, ein Auge zugekniffen wie ein Scharfschütze auf einem Schießplatz, auf den Horizont. Mabel fragte sich, ob sie heute sterben würde oder ob vielleicht Bong sterben würde. Alle Muskeln ihres Körpers verkrampften sich. Selbst die Luft schien zu verschwimmen, sodass sie das Gefühl hatte, die Dinge um sie herum gerieten ins Schwanken. Das Warten nahm ihr die Luft. Ihre Nasenflügel bebten.
    Eine Stunde verging. Mabel träumte gerade vor sich hin, beobachtete einen Rhinozeros-Hornvogel, der hoch oben in einem Rambutan -Baum ein Festmahl hielt, und bewunderte seine Schönheit, als das erste leise Knistern des Funkgerätes sie aus ihren Gedanken riss.
    »Es geht los! Rechte Flanke. Rechte Flanke!«
    Vereinzelte Schüsse rissen Blätter von den Bäumen, ließen sie zu Boden regnen.
    Mabel zog den Kopf ein und hielt sich die Ohren zu. Um sie herum schlugen pfeifend und

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